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Archive for the ‘Politikwissenschaft’ Category

Waldnatur – Josef H. Reichholf bürstet wieder einmal Naturthemen gegen den Strich

In Politikwissenschaft, Sachbuch, Umwelt on September 5, 2022 at 10:21 pm

Klimaschutz, heißt es, sei Menschenschutz. Klimaschutz sei auch Waldschutz. Klimaschutz habe vor allem mit Nachhaltigkeit zu tun. Und Deutschlands Wälder brauchten nun Baumarten, die dem Klimawandel trotzen könnten.

All das klingt prima.

Wir müssen ja tatsächlich handeln, denn es steht nicht gut um die deutschen Wälder, die immer mehr unter den Folgen der Klimakrise zu leiden haben. Die Stichworte: Dürre, Stürme, Borkenkäfer. Ein »zukunftsfähiger« Wald muss her – doch wie kann dieser aussehen? 

Josef H. Reichholf ist einer der streitbarsten Ökologen Deutschlands. 30 Jahre lang lehrte er als Honorarprofessor an der TU München Gewässerökologie und Naturschutz. Für Diskussionen haben seine Bücher schon oft gesorgt.

In seinem neuen Buch „Waldnatur“ legt Reichholf Wert auf die Unterscheidung von Wald und Forst. Ein Forst, so Reichholf, sei nichts Anderes als eine „Produktionsstätte für Holz“. Dabei sei Wald doch so viel mehr. Er kritisiert Monokulturen und den neuen Trend, jetzt widerstandsfähigere amerikanische Pflanzen nach Deutschland zu bringen, obwohl die Folgen noch gar nicht absehbar seien.

Auch das beliebte Nachhaltigkeitsgebot nimmt Reichholf genüsslich auseinander. „Gepflanzt wurden rasch wachsende Baumarten, allen voran die Fichte, ohne allzu viel Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie standortgerecht sind. Das war bei Fichten kaum jemals im Flachland der Fall. Auch Laubbaumkulturen passten nicht überall, wo sie angelegt worden waren. Es ging vorrangig um die kommerziell gefragten Eigenschaften der Bäume und nicht darum, ob langfristig stabile Wälder entstehen.

Das vielzitierte und hochgelobte Prinzip der Nachhaltigkeit, das von der Forstwirtschaft entwickelt worden war, betont jedoch lediglich den wirtschaftlichen Aspekt: dem vorhandenen Bestand nicht mehr entnehmen als im gleichen Zeitraum nachwächst. Das zu pflanzen, was von Natur aus passt, steckt nicht im von Hans Carl von Carlowitz propagierten Nachhaltigkeitsgebot.“

Und zu Monokulturen schreibt Reichholf: „Dass die in gleichaltrigen, auch genetisch sehr gleichartigen Beständen großflächig gepflanzten Bäume, dass die Monokulturen im Flachland den Kern der Problematik bildeten, wurde offenbar weitestgehend ausgeblendet. Es sollte wachsen, was gebraucht und gewünscht wurde, nicht was zu den Standortverhältnissen passte. Auch die Neupflanzungen nach den massiven Übernutzungen der Forste im Zweiten Weltkrieg und unmittelbar danach erfolgten unter reinen Ertragsgesichtspunkten.“

Man will es aber nicht hur Kenntnis nehmen in der deutschen Forstwirtschaft. Dort gelten eben andere Gesetze als die der Natur. Es geht um schnöden Mammon,w as derzeit schwierig geworden ist. Also wird über große Veränderungen nachgedacht.

„Die Forste sollen nun klimatauglich werden, nicht aber standorttauglich. Die ansonsten, insbesondere von Naturschützern vehement abgelehnten fremden Arten, die »Aliens«, gelten sogar als Helfer in der Not, weil sie, wie die Roteichen Quercus rubra und die Douglasien Pseudotsuga menziesii aus Nordamerika, mit trockenerem und heißerem Sommerwetter besser zurechtkommen als die heimischen Eichen, Fichten und Kiefern. Standortgerechte Baumbestände werden offenbar als nicht zukunftsfähig eingestuft, obgleich aus dem Forstbereich kommende Naturschützer immer wieder und äußerst nachdrücklich betont hatten, dass die (Rot-)Buche unser naturgemäßer Baum sei und Buchenwälder die natürliche Waldvegetation.“ Schreibt Reichholf und trifft einen Nerv. Sein Stil ist nüchtern und klar, seine Argumentation ist überzeugend. Höchste Zeit, darüber öffentlich zu streiten.

Dr. Armin König / Sigrid König

Info:

Josef H. Reichholf

Waldnatur

oekom-Verlag 

Egomane Kissinger – Staatskunst?

In Politikwissenschaft on August 3, 2022 at 9:16 pm

Es gib viele ernst zu nehmende Kritiker und Publizisten, die Henry Kissinger für einen der verantwortungslosesten Außenminister halten, den es in demokratischen Staaten je gegeben hat. Christopher Hitchens (The Trail of Henry Kissinger; dt. Die Akte Kissinger), Greg Grandin („Kissingers langer Schatten“) haben ihn entzaubert und seine Untaten auf vielen Seiten beschrieben, Interviewer fragen offen, ob man Kissinger einen Kriegsverbrecher nennen dürfe.

Andererseits wird er von Vertretern eines macchiavellistischen Weltbildes bewundert.

Er bewundert seinerseits Politiker, die autoritär bis autokratisch führen und hasst Verweichlichung und diplomatische Nachgiebigkeit.

Jetzt hat der greise Kissinger wieder ein dickes Buch geschrieben, bei dem es angeblich um „Staatskunst“ geht, vielleicht auch um sechs „Leader“, die fast alle umstritten sind, vor allem aber um Kissingers Sicht der Welt.

Er ist der Mann, der Atomkriege führbar machen wollte („Kernwaffen und auswärtige Politik“).

Er ist der Mann, der den Massenmörder Pinochet in Chile unterstützt hat.

Er ist der Mann, der mit politischen „Ungeheuern“ dealte.

Kissinger hat Amerika auf den Pfad des ewigen Krieges geführt und bekam den Friedensnobelpreis.

Man muss ihn wirklich nicht bewundern. Und man muss auch das Buch nicht lesen, in dem er Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher für ihre „Leadership“ hoch leben lässt.

„Dass alle sechs autoritäre, gar autokratische Züge aufwiesen und besonders Nixon, Lee oder auch Thatcher in ihren Regierungszeiten hochumstritten waren und spalterisch wirkten, gehört wohl zum Merkmal des Außergewöhnlichen“. (Stefan Kornelius, Süddetusche Zeitung).

Man kann die 608 Seiten aber auch lesen, um Amerika oder einen Teil Amerikas zu verstehen – und die zum Teil erratische Außenpolitik.

Solche Bücher werden Bestseller – ob zu Recht, sei dahingestellt.

Ins Regal.

Wer all dies einordnen möchte, sollte allerdings noch ein zweites Buch lesen, das zwar schon zwei Jahre alt, aber immer noch aktuell ist: Die Kissinger-Biografie von

Bernd Greiner: Henry Kissinger: Wächter des Imperiums.

Ein phänomenales Buch, das sich wie ein Krimi liest.

„Es ist viel mehr als eine exzellente Biografie, es bietet eine Darstellung der Grundzüge und Idiotien amerikanischer Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, sinnfällig gemacht anhand des Gespanns Nixon und Kissinger.“

(Süddeutsche Zeitung, Franziska Augstein)

Und Marie-Janine Calic kritisiert:

„Wer dieses Buch gelesen hat, versteht, auf welchen Ideen das Leitbild von „America first“ fußt – und warum es mit kluger, vorausschauender Weltordnungspolitik unvereinbar ist.“

Dr. Armin König

Die Kakerlake: Der Brexit-Roman knallt richtig rein und liest sich süffig weg

In Politikwissenschaft on Januar 26, 2020 at 11:55 pm

Die Kakerlake: Der Brexit-Roman knallt richtig rein und liest sich süffig weg

Die Kakerlake
Ian McEwan
Diogenes
Die Realität ist noch schräger als das, was Bestsellerautor Ian McEwan in seiner Politsatire „Die Kakerlake“ schreibt. Aber er kommt der britischen Brexit-Realität schon ziemlich nahe. Mit bissigem, schwarzen Humor beschreibt er das irrwitzige britische Drama um Brexiteers und Remainer.
Bei McEwan drehen die Realitätsveränderer den Geldfluss um. Brexiteers sind nun Reversalisten, Remainer sind „Vordreher“. Der brillante Autor hatte offenkundig seinen Spaß beim Formulieren. Viel Fabulieren musste er nicht, er konnte er sich ja immer an der kaum übertrefflichen Realität orientieren.
Der Premierminister heißt Jim Sams und war zuvor eine Kakerlake, die sich in einen Menschen verwandelt hat.
Natürlich erinnert dies an Franz Kafkas „Verwandlung“ und Gregor Samsa. „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.“
Wie bei Gregor Samsa und Kafka klopft es auch bei Ian McEwan und Jim Sams an der Zimmertür, und der neue Mensch, der einst Kakerlake war, muss nun eine Kabinettssitzung leiten.
Sein Programm „Reversalismus“, das die Geldflüsse umkehrt, ist völlig absurd und weltweit einmalig, aber es ist der Wille einer Volksmehrheit, die sich in einem Referendum für den vollkommenen Unsinn entschieden hat, möge auch die ganze Welt dagegen sein. Die Idee ist einfach: Wer arbeitet, muss dafür zahlen, wer konsumiert, kassiert auch noch. Die Reichen profitieren am meisten.
Premier Johnson und seine Rivalen sind auf den ersten Blick zu erkennen, auch der chaotische US-Präsident Archie Tupper mit seinem sinnfreien Kommentaren ist in diesem Schlüsselroman kaum verfremdet.
Dass das Buch Kalauer liefert, wundert angesichts der Parallelen zwischen literarischer Groteske und Realität nicht.
„Wir befinden uns im freien Fall“, hat Ian McEwan in einem Interview erklärt. Und so ist sein Schlüsselroman voll von beißendem Spott über die Regierung, die Politik, die Zeitungen, die Reversalisten und damit über die Brexiteers.
Mein Fazit:
1. Ian McEwan hat mit »Die Kakerlake« einen leicht zu lesenden Unterhaltungsroman geschrieben, der als Schlüsselroman politische Meinungen transportiert..
2. Ian McEwan verweist mit seiner Er-zählung unmittelbar auf Franz Kafkas »Die Verwandlung«. Das ist unbestritten und wird auch von allen Kritikern hervorgehoben. Dass McEwan Kafka gelesen hat, ist unübersehbar.
3. Ähnlichkeiten mit Kafka sind beabsichtigt und nicht zufällig.
4. McEwan verfremdet Kafkas Gregor Samsa zu Jim Sams.
5. Das Insekten-Motiv steht bei Kafka für Isolation, Rückzug, die Panzerung von Gefühlen, aber auch für Abwertung, Isolation, Ausweglosigkeit, Selbstzweifel und Ekel, für Unterlegenheit und Bewegungseinschränkung bis hin zur Bewegungsunfähigkeit und zur Vernichtung.
6. Der zum Käfer verwandelte Gregor Samsa ist in einer existenziell ausweglosen Lage.
7. Der Käfer Gregor Samsa ist kommunikationsunfähig. Er will aber auch nicht kommunizieren und vermeidet mit der Metamorphose die Auseinan-dersetzung mit Vater, Schwester und Gesellschaft.
8. Gregor Samsa ist in der Hierarchie ganz unten gelandet – in hässlicher Gestalt.
9. Ian McEwans Unterhaltungsroman reicht an Kafkas expressiv-existenzialistische Erzählung nicht heran. Während Kafkas Erzählung eine Parabel für die (individuelle) menschliche Existenz ist und dabei das Scheitern einer Person beschreibt, ist »The Cockroach« /»Die Kakerlake« eine Farce auf den britischen Politikbetrieb zu Zeiten zu Zeiten des Brexit. Diese Farce wird von der Realität weit übertroffen.
10. Kafkas Präsentation des Drastischen ist dramatisch, McEwans Darstellung des Ekelerregenden wirkt auf das Gros der Leser komisch.
11. Mit seinem poetischen Ansatz steht McEwan Dürrenmatt näher als Kafka. Der Dürrenmatt-Ansatz ist in sich stimmig.
12. Darf man einen Regierungschef zur »Kakerlake« machen, auch wenn es nur eine literarische Groteske, eine böse Satire, eine ironische Verfremdung ist? Ja, auch und gerade im Sinne Brechts und Dürrenmatts. Verfremdung ist Teil der Poetik.
13. Die Art der Satire ist möglicherweise grenzwertig, aber Literatur muss provozieren. Ob dies zur Verrohung der politischen Auseinandersetzung bei-trägt, liegt an der Umsetzung. Der Autor muss dies mit sich ausmachen. McEwans Umsetzung ist nicht verwerflich.
14. Ist sprachliche Stigmatisierung ein Mittel zur Feindbild-Konstruktion ? Ja. Aber die Novelle ist Fiktion.
15. Ist McEwans Politsatire gelungen? Ja. Aber die Erzählung hat Schwächen.
16. Das Buch liest sich locker-flockig und schnell und gibt charmante Einbli-cke in die britische Brexit-Gesellschaft. »The Cockroach« stellt den Irrsinn dieser Welt durch Übertreibung glaubhaft dar.
17. Es ist nicht verboten, sich von einer leichten Farce gut unterhalten zu lassen, zumal wenn die politischen Implikationen treffend dargestellt sind.
18. »The Coackroach« richtet mit seiner Ungeziefer-Parabel bei den Lesern keinen Schaden an, da sie nicht bösartig ist, und darf ohne Scham konsu-miert werden. Es stellen sich bis auf ein leichtes Unbehagen praktisch keine Nebenwirkungen ein.
19. Ian McEwans Novellenfarce »The Cockroach« / »Die Kakerlake« ist weit-aus besser als ihr Ruf. Der Autor hatte angesichts der Absurditäten in der britischen und europäischen Politik gar keine andere Wahl, als eine Tragikomödie zum Brexit zu schreiben. Sie amüsiert und sorgt doch dafür, dass das Lachen im Halse stecken bleibt.
20. Damit steht Ian McEwan in einer langen literaturgeschichtlichen Tradition. So wenig wie der Autor oder die Autorin heute im Schillerschen Sinne die reale Welt als Vorbild für sein Fikti-on der Geschichte wählen kann, sowenig kann er das reine Lustspiel wählen. Es sind vielmehr Tragikomödien, die unsere Zeit prägen, bei denen uns das Lachen im Hals steckenbleibt. Wo die Weltmetzger herrschen, kann kein reines Lustspiel mehr inszeniert werden. Das sind die Grenzen der Schriftstellerei in unserer Zeit.
Der Roman knallt richtig rein und liest sich süffig weg. Die Welt verändern wird er trotzdem nicht.
Armin König

Nein, der Westen ist nicht tot – Ein mutiges Plädoyer

In Deutschland, Europa, Politikwissenschaft, Sachbuch, USA on Dezember 8, 2019 at 10:55 pm

Nein, der Westen ist nicht tot – sagt Thomas Kleine-Brockhoff und schwimmt damit gegen den Strom der Skeptiker und West-Kultur-Pessimisten. Er hat eine Botschaft: „Die Welt braucht den Westen“, schreibt der erfahrene Außenpolitik-Analytiker, der Vizepräsident und Berliner Büroleiter des German Marshall Fund of the United States. Souverän beschreibt er, warum nicht die „dunklen Kräfte“ die besten Chancen haben, sich durchzusetzen, sondern die Protagonisten eines neuen robusten demokratischen Liberalismus.
Ja, auch Kleine-Brockhoff, der lange als ZEIT-Korrespondent gearbeitet hat und der Chef des Planungsstabs von Bundespräsident JoachimGauck war, erkennt die wachsende Macht der Nationalisten und die aktuelle Krise des Westens. Er verkennt nicht „die Popularität des starken Mannes als Staatenlenker“ (41). Und auf der großen Weltbühne haben sich auch noch „der Protektionismus, der Majoritarismus und der Opferkult des Rechtspopulismus, das Denken in Einflusszonen, der historische und territoriale Revisionismus“ (41) breitgemacht.
Personalisiert wird die Krise des Westens durch Donald Trump und einen irrationalen Trumpismus. Aber Kleine-Brockhoff hält dagegen: „Denn es ist unabsehbar, sogar unwahrscheinlich, dass Donald Trumps Amtszeit in einen dauerhaften Trumpismus münden wird“ (16). Der Westen kann nicht so bleiben, wie er ist, auch das ist eine wichtige Erkenntnis des klugen Analytikers. Er hat auch alles dafür getan, um wegen seiner Hybris diskreditiert zu werden. Aber das ist kein Grund, nun all das aufzugeben, was den Westen seit der Aufklärung bis hin zum Liberalismus und der Demokratisierung der Welt stark gemacht hat. „Die Vereinigten Staaten als westliche Vormacht quasi aufzugeben…, wäre fahrlässig“, schreibt Kleine Brockhoff. Die Europäer sollten die Brücken nach Amerika nicht einreißen. In der Post-Trump-Ära würden sie noch gebraucht. Und es gibt ja noch immer genügend überzeugte Atlantiker, die dafür einstehen, was KLeine-Brockhoff empfihelt.
In zehn Kapiteln entwirft er einen „Neustart für eine liberale Ordnung“, und es klingt überzeugend. Nicht der missionarisch-offensive und zum Teil überdehnte westliche Demokratie-Export der letzten Jahrzehnte ist gefragt, sondern ein zurückhaltender, aber glaubwürdiger robuster Liberalismus, der für Aufklärung, Regeln, eine freiheitliche Weltordnung steht. Kleine-Brockhoff kritisiert in diesem Zusammenhang auch die offene Migrationspolitik von Angela Merkel, deren Idealismus mit den machtpolitischen Realitäten nicht in Einklang zu bringen war. „Das Globale mit dem Nationalen versöhnen“ (110), Flüchtlingsschutz, von neuem Allianzen schmieden, um dem Neonationalismus Grenzen zu setzen, Regeln für militärische Interventionen, wenn sie aus humanitären Gründen wirklich unvermeidbar sind – all dies sind große Aufgaben für den Westen. Und sie sind auch eine Chance für eine Renaissance des Westens, der auf solidem liberalem demokratischem Fundament steht. Es gilt, die Attacken neuer Kulturreleativisten abzuwehren. Dabei muss der Westen Abschied von Illusionen nehmen und „den Realitäten einer Welt ins Auge schauen, die geprägt ist von Machtkonkurrenzen“. (26)
Das ist mutig, aber keineswegs weltfremd. Die Freunde der Freiheit und die Kräfte der Mitte sollten nicht in Selbstmitleid baden, sondern sich auf den Weg machen, um die liberale Demokratie gegen all die Egomanen, Nationalisten und Populisten zu verteidigen. Denn deren Scheuklappenpolitik ist zu begrenzt, um in einer komplexen Welt überzeugende Antworten für die Mernschen zu bieten.
Klar sind auch Kleine-Brockhoffs Antworten zu China: Man werde die aufstrebende Weltmacht China nicht „eindämmen“ können (166). Nichts zu tun und auf robuste Antworten zu verzichten, sei aber auch nicht der richtige Weg. „Am Ende sorgt nicht China im Westen für Wohlstand, sondern ein regelbasiertes System freien Handels, das alle Mitglieder für verbindlich halten.“ (166)
Die Positivliste des Westens ist beeindruckend: unveräusserliche Menschenrechte, Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung und repräsentative Demokratie gehören zum Markenkern.
Thomas Kleine-Brockhoff schafft das Kunststück, dem vorherrschenden Kulturpessimismus des Westens die Vision eines aufstrebenden robusten demokratischen Liberalismus entgegenzusetzen, der tatsächlich Chancen hat. Einfach wird das nicht. Im Gegenteil: Das ist ein mühsamer Prozess, der strategisches Geschick verlangt. Aber er lohnt sich. Ein bisschen Mut ist dabei schon notwendig.
Es stimmt doch: Die Welt braucht den Westen. Es wäre fahrlässig, ihn und seine liberalen Ideale aufzugeben.
Ob der Optimismus tatsächlich trägt, ist noch nicht ausgemacht. Dafür müssen die handelnden Politikerinnen und Politiker Europas selbst sorgen.

Dr. Armin König

Thomas Kleine-Brockhoff: Die Welt braucht den Westen. Neustart für eine liberale Ordnung. Edition Körber, Hamburg 2019. 208 S., EUR 18,00; Fr. 28.90HC_120x205_KleineBrockhoff_Westen_190328_final.indd

Viel Stoff, viel Tendenz – „Die Erfindung der bedrohten Republik“

In Politikwissenschaft on November 3, 2019 at 10:11 pm

David Goeßmann:
Die Erfindung der bedrohten Republik
Wie Flüchtlinge und Demokratie entsorgt werden
Verlag: Das Neue Berlin 2019
Eulenspiegel Verlagsgruppe


Es ist eine steile These, die David Goeßmann in seinem Buch „Die Erfindung der bedrohten Republik“ aufstellt: Die deutsche Flüchtlingskrise war eine Medien- und Politikinszenierung auf der Grundlage manipulativer Kommunikation. Die Willkommenskultur ist nach Auffassung des Autors und TV-Produzenten verdrängt worden, indem man die Schutzsuche von Flüchtlingen in Deutschland „zum Jahrhundertproblem transformiert“ habe. In seinem großvolumigen Meinungsmache[r]-Buch mit vielen Quellen- und Literaturangaben behauptet Goeßmann, dass manipulativ von gesellschaftlichen Eliten und Medien inklusive der liberalen Zeitungen und der meisten TV-Medien Krisenstimmung erzeugt worden sei, um eine repressive Flüchtlingsabwehr als alternativlose Politik durchzusetzen. „Die schiere Masse an Krisenberichterstattung und Angstnachrichten war erdrückend und musste verunsichern“ (219), schreibt Goeßmann. „So konnte der Hilfsimpuls der Bürger neutralisiert und entpolitisiert werden, während die Abwehrmaßnahmen ohne Diskussion im politischen Schnellverfahren umgesetzt wurden, wobei die einzige Sorge der Journalisten war, ob die Maßnahmen auch wirklich die Bedrohung bannen würden.“ (21)
Politischer Diskurs setzt immer auf Durchsetzung der eigenen Position, gelegentlich auch auf Kosten der Wahrheit und der Klarheit. Diese Durchsetzung um jeden Preis zieht sich auch durch dieses Buch. Goeßmanns Position ist eine explizit linke. Sie ist unfair gegenüber der Mehrheit der Journalisten, die professionell berichtet und kommentiert haben. Es gehört schon eine sehr selektive Wahrnehmung dazu, um solche tendenziösen Behauptungen mit dieser Selbstsicherheit zu verbreiten. Das gipfelt im Klappentext: „Von der Polit-PR-Show des ‚Willkommenssommers’ 2015 zum ‚Sodom und Gomorrha’ der Kölner Silvesternacht – ihre Orientierungslosigkeit und Hysterie haben die Medien mit der Politik der Bundesregierung gemeinsam.“
Goeßmann nennt die Kölner Ereignisse in einem Interview mit Verdi „mehr oder weniger deutsche Normalität“. Das Kapitel „Kölner Silvesternacht“ spielt denn auch eine zentrale Rolle in der „Erfindung der bedrohten Republik“. Goeßmann sieht Dunkelfeld und Anzeigenbereitschaft „ohne Nachrichtenwert“, wirft den Medien „journalistisches ‚Racial Profiling’ im Dienste der Flüchtlingskrise“ (128 vor und dass es eine Tendenz gebe, die „Täter in einen Sack’ zu stecken“ (144). Er spricht von Generalverdacht erst gegen Nordafrikaner, dann gegen Flüchtlinge allgemein und davon, dass es aus dem Untersuchungsausschuss Kölner Silvesternacht bekannt sei, dass ‚das Potenzial an Belästigungen bis zu extremster Belästigung regelmäßig von Veranstaltungen wie Oktoberfesten oder Junggesellenabschieden ausgehe. Das Phänomen sei eigentlich allen Frauen und Mädchen, die in der Stadt unterwegs sind, bekannt.“ (144)
Goeßmann verfolgt ein argumentatives Ziel: Er will mit seiner 462-seitigen Analyse darstellen, dass „die EU-Abschottungspolitik unter deutscher Führung nicht alternativlos“ (386) ist und dass die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Ausgangsländern von zentraler Bedeutung sei, auch für die Demokratie. Es gäbe „Alternativen zur brutalen Abschottung… wie Sand am Meer.“ (387)
Immerhin akzeptiert Goeßmann eine wichtige Feststellung, mit der auch diejenigen zu kämpfen haben, die sich in der Mitte der Gesellschaft für eine humane Migrationspolitik einsetzen: „Die Ängste und Sorgen de Bürger, die in der ‚Krise’ manifest wurden, sollten ernst genommen werden. Sind sie berechtigt, sollten sie adressiert und die Missstände abgebaut werden.“ (387)
Dem kann man ebenso zustimmen wie der Feststellung: „Die Rechte gewinnt, wenn der Gesellschaft die Luft ausgeht“. Das ist richtig. Die Mitte der Gesellschaft, die die Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg prägt, darf nicht verunsichert, sie muss gestärkt werden.
Denn:
„Autoritäre Bewegungen erhalten ihre Kraft aus dem gesellschaftlichen Zentrum und der blockierten Demokratie, ihre Stimmen aus verängstigten und fehlinformierten Bevölkerungen.“

Das Buch hat bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen.
Es bietet eine große Materialsammlung zum Umgang der Medien mit der „Flüchtlingskrise“. Es ist aber auch im Kern tendenziös und verfolgt politische Absichten.

Dr. Armin König

Entgiftung: Jochen Bittner schreibt, was die zerstrittene Republik wieder einen kann –„Zur Sache, Deutschland!“

In Politikwissenschaft on November 1, 2019 at 9:33 am


Das ist ein guter, ein richtiger, ein wichtiger Ansatz: „Das Land entgiften“. Warum? „Weil wir Wichtigeres zu tun haben“. Es sei höchste Zeit für ein „Ende der Dauer-Empörung“ in Deutschland. Das wünscht und fordert ZEIT-Redakteur Jochen Bittner in seinem süffig zu lesenden Buch „Zur Sache, Deutschland! Was die zerstrittene Republik wieder eint“, erschienen in der Edition Körber.
Bittners Befund ist ebenso klar wie richtig: Das politische Klima in Deutschland ist vergiftet, die öffentliche Wahrnehmung scheuklappenartig „auf das fixiert, was unser Land spaltet. Und die Lautstärke von Debatten wird mit ihrer Dringlichkeit verwechselt.“ Da ich die Debatten auch zuweilen in diesem Sinne befeuere, habe ich Bittners Buch mit Gewinn gelesen. Da gab es auch für mich manchen Aha-Effekt.
Bittner, der seit Jahren für die ZEIT schreibt, auch als Europa- und Nato-Korrespondent, ist seit neuestem für ZEIT-Debatte zuständig und setzt auch dort Impulse für eine neue Debattenkultur.
„Play the ball, not the man“ – dieses Sprichwort hat er seinem Buch als Leitmotiv vorangestellt: „Spiel den Ball, nicht den Mann“.
Ausgangspunkt seiner Analyse der „Nach-Mauer-Zeit“ ist sein Befund dass wir eine „nervöse Berliner Republik“ haben, die von „fünf deutschen Spaltungen“ geprägt ist:
1. Von Globalisten und Nativisten – Wie viel Entgrenzung darf sein?
2. Die neue Ost-West-Teilung – Frontstaat Deutschland
3. Das beste Deutschland aller Zeiten? – Die neue Verteilungsungerechtigkeit
4. Weil es so einfach ist – Identitäten als Ersatzschlacht
5. Follow me – Die Berliner Twitter-Republik
Da gibt es Politiker, Bürger, Publizisten (war da „Bild“ gemeint?), die „kaputter machen wollen, was angeschlagen ist.“ AfD-Anhänger neigen in besonderem Maße dazu, aber nicht nur sie. „Zerstörung und Abriss sind die schnellsten und billigste Art von Opposition, und Schadenfreude ist ihr Antrieb. Anti-Establishment-Politik als Affekthandlung ist das Erfolgsrezept von Populisten, von Donald Trump, Nigel Farage und von Recep Tayyip Erdogan. Deutschland New Kids On The Block ist die AfD. Ihr Feindbild ist so klar, wie ihr Zukunftsbild unklar ist.“ (26)
Und was machen wir? „Statt die Populisten gelassen zu demontieren, werden sie dämonisiert.“
Aber so einfach ist das auch wieder nicht.
Bittner bietet einen Alternativvorschlag: „Eine ehrliche Fehleranalyse anzustellen und, in einem weiteren Schritt, Vorschläge für Reparaturen zu machen.“
Bittner unterscheidet etwa zwischen Flüchtlingen und Migranten und spricht von einer „Pflicht gegenüber Verfolgten“ UND deren „Pflicht gegenüber dem Land“ (105). Das wird derzeit nicht gern diskutiert. Bittner sagt, der Islam sei „eben keine Religion wie jede andere“ (134) und belegt das auch. Es sei eine der „unausgetragenen und deshalb zuverlässig entflammbaren Identitätsfragen der Berliner Republik“ (134). Es gehe dabei gerade nicht darum, Muslime zu stigmatisieren. Und es sei eine Binsenweisheit, dass „der Islam faktisch zu Deutschland gehört“. Aber dann benennt Bittner glasklar die „heißen Eisen“ (136): Da ist insbesondere der Anspruch des Islam, „verbindliche Regelungen nicht nur für die persönliche Lebensführung, sondern auch für die Dritter“ zu setzen.“ (136)
Auch das benennt Bittner in erfreulicher Klarheit:
„Das beginnt mit der Beschneidung von Jungen, reicht über Gebote gegen unsittliche Kleidung, Ernährung, unerlaubten Sex bis zu eigenen Vorstellungen von Familien-, Erb- und Strafrecht.“ Weiter geht es über Homosexualität, über den Anspruch, dass der Islam nicht nur religiöse, sondern auch Rechtsquelle sein soll.
Bittners Analyse ist eindeutig und geht deutlich über das hinaus, was üblicherweise (auch von mir und meinen Freunden) diskutiert wird: islamische Gebote können „in einem besonderen Spannungsverhältnis zum Grundgesetz stehen“ und „kollidieren auch immer wieder mit Grundrechten.“
Und damit wären wir bei der „Pflicht gegenüber dem Land“, indem man lebt.
Die Verfassung ist Maßstab des Handelns, nicht der Islam. Er kann hier nicht „Kodex einer Zivilisation“ (137) sein.
Und es steht noch ein Satz mit Sprengkraft in Bittners Buch:
„Die Vorstellung, dass die Welt erst dann friedlich sein kann, wenn die Welt islamisch ist, ist eben keine Denkweise von Extremisten, sondern Teil der Lehre Mohammeds“. (137)
Bittner plädiert dafür, dem aufklärerischen Islam der Idschithad-Lehre, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Propagiert wird er von der kanadischen Publizistin Irshad Manji.
„Die Freiheit, seine Religion auszuleben, endet … dort, wo gleichrangige Freiheitsrechte anderer betroffen sind.“ (147)
Das hat Folgen.
„Die Garantie der Freiheitsrechte gebietet…, dass der demokratische Rechtsstaat keinen Millimeter von seinen Grundsätzen abrücken darf, sobald die Rechte Dritter bedroht sind.“ (148) Das gilt etwa bei der Teilnahme von Kindern am Sport- und Schwimmunterricht. Der ist einer Muslimin „zumutbar, egal was die Eltern denken“.
Fundamental ist „die Gleichberechtigung von Kindern und Frauen ebenso … wie die gleichberechtigte Anerkennung anderer Religionen.“ (155)
Das sind Sätze, wie wir sie in der seriösen, klassischen Debatte ebenso selten finden wie die Aussage zum Dschihad, dem Heiligen Krieg.
„Wer den militanten Dschihad attraktiver findet als den zweifelnden Idschithad, der gehört ebenso wenig zum Deutschland des 21. Jahrhunderts wie Rassisten, Nativisten und Suprematisten.“
Ein Spreng-Satz ganz gewiss.
Bittner hat aber noch andere Zumutungen parat. Er fordert dazu auf, „linke und rechte Lebenslügen“ zur Integration (etwa von Türken) aufzugeben. Er plädiert dafür , die Integrationsanstrengungen zu professionalisieren und den Turbo einzuschalten.
Er will einerseits Brückenbau, will ein Bundesintegrationsministerium im Sinne dieser Professionalisierung.
Aber er stellt auch Ansprüche an Menschen mit Migrationshintergrund. Brückenbau bedeute eben auch, „freiheitliche Prinzipien freundlich, aber nachhaltig einzufordern“ (165). Ganz nebenbei stellt er fest, dass auch Wähler mit Migrationshintergrund AfD wählen. Und nicht zu knapp.
Bittner setzt sich auch mit Leitkultur, Heimat, Feminismus und Journalismus auseinander, spürt dabei starre Denkschablonen auf und setzt sich dafür ein, „miteinander um die Sache zu ringen“, will eine „Entgiftung“ der Atmosphäre.
Seine Überzeugung: Deutschland, du kannst es besser!
Ich musste mehr als einmal schlucken, als ich das Buch gelesen habe. Ich bin auch nicht mit jedem Satz einverstanden. Muss ich auch nicht. Aber Bittner ist kein Rechter, kein Linker, kein Idealist. Er beschreibt die Welt, wie sie ist und sucht nach Lösungen.
Das Buch ist flüssig geschrieben, sehr sachlich, mit Beispielen unterfüttert und gibt wichtige Impulse für eine neue Debattenkultur.
Jochen Bittner: Zur Sache, Deutschland! Was die zerstrittene Republik wieder eint. 272 Seiten. ISBN 987-3-89684-270-1. Es kostet 18 Euro.
[Dies ist keine Werbung, sondern eine neutrale Buchkritik.]
Dr. Armin König

Republik der freien Geister – Jena 1800 – Europa in Aufruhr, die Romantiker machen Revolution

In Geschichte, Politikwissenschaft on August 5, 2019 at 9:49 pm

Selten habe ich Philosophie-und Geistesgeschichte so brillant gelesen. Eine Epoche wird lebendig, eine „Republik der freien Geister“ mit Helden wie Goethe, Schiller, Dorothea, Friedrich, Wilhelm und Caroline Schlegel, mit Novalis und Brentano taucht vor unseren Augen auf und geht in den Wirren eines neuen Jahrhunderts wieder unter.
Das kleine Jena (5000 Einwohner) war eine Hochburg um 1800, ein pulsierendes intellektuelles Zentrum.

Peter Neumann schreibt süffig, journalistisch. Anmerkungen und Fußnoten (am Ende des Buchs zu finden) sind sparsam gesetzt, was das literarische Konsumieren erleichtert.

Man erfährt, dass der bunte Haufen der philosophierenden und schreibenden Helden nicht nur gesellschaftliche Traditionen in Frage stellt, sondern auch mit dem Blick auf das Individuum und die Natur zugleich auch unser Verständnis von Freiheit und Wirklichkeit revolutioniert – und das bis heute. Eine kantsche Revolution mit Nachwirkungen.

Nur manchmal gerät man als Leser oder Leserin ins Grübeln: Ist das nicht alles sehr dramatisiert und romantisiert, damit es sich für eine Verfilmung eignet.

Ach was: Es geht ja um die Romantiker, um Subjektivität und Individuum, da soll und muss es menscheln.

„Gemeinsam beobachten Hölderlin, Hegel und Schelling den Aufstieg zuerst der kantischen, dann der fichteschen Philosophie – und feiern ihn frenetisch. Genauso wie sie den Geist der französischen Revolution willkommen heißen“. (170)

Und dann einer der Kernsätze:

„Es geht ihnen nicht bloß um politische Freiheit oder Freiheit vom dogmatischen Zwang, die sich mit einem Schlag herstellen ließe. In einem viel umfassenderen Sinn begreifen sie Freiheit als einen unendlichen Prozess der Befreiung der menschlichen Gattung als solcher, eine ständige Herausforderung bestehender Beschränkun gen und Grenzen, auch der eigenen. Aufbruchsstimmung ist zu spüren.“ (170)

Ich will nicht verschweigen, dass eher unerfahrene Leser Schwierigkeiten mit dem Buch haben – oder falsche Erwartungen hatten, etwa, dass es um ein Jena-Buch mit Anekdoten aus 1800 gehe.

Nein, das ist es nicht. Man muss sich auf Politik und Literatur und Philosophie, auf Romantik und Aufbruch und Revolution einlassen.

Ich finde, Peter Neumann hat das außergewöhnlich gut umgesetzt. Mir hat es sehr gefallen.

Dr. Armin König

Furcht: Star-Publizist Bob Woodward seziert Donald Trumps fürchterliche Politik und entblößt seine Schwächen

In Politikwissenschaft, Sachbuch, USA on Februar 3, 2019 at 11:36 pm


Dieses Buch ist ein Polit-Kracher. Ich halte es für eines der besten und wichtigsten Sachbücher des Jahres 2018. Der Star-Publizist Bob Woodward seziert Donald Trumps Politik und entblößt seine Schwächen, seine Dummheit, seine diplomatische Ignoranz, seinen Regierungs-Analphabetismus, seine Dreistheit, seine Unbeherrschtheit, zeigt aber auch seine Stärken auf, seine Methoden, seine Waffen, seine Erfolgsfaktoren. Sage bloß keiner, er habe von nichts gewusst!

Woodward schreibt süffig, schlüssig, legt Handlungslinien offen und schafft damit Transparenz. Seine Fähigkeit, Politik in Geschichten zu kleiden, ist beeindruckend. Seit der Aufdeckung der Watergate-Affäre ist Woodward eine Legende. Der Mit-Herausgeber der Washington Post wird auch in „Furcht“ seinem Ruf gerecht, dank exzellenter Kontakte dunkle Geschäfte, Machenschaften und Polit-Geheimnisse ans Tageslicht zu bringen, von denen kein Anderer je erfahren würde.
Er kennt die US-Politik seit einem halben Jahrhundert, hat hunderte Kontakte, seine Quellen sprudeln. Nur (be)nennen darf er sie nicht, braucht er auch nicht, denn Woodward ist glaubwürdig.
Faszinierend ist, was Woodward alles weiß.
Faszinierend ist auch, wie er die Fäden spinnt und analysiert und Verbindungen knüpft.
Der Zeitungsjournalist kann verdammt gut schreiben, und er hält dies auch auf der Marathondistanz durch, wie er bei mittlerweile 19 Büchern bewiesen hat.
Leider ist das, was Woodward in „Furcht“ über Trump schreibt, verdammt Furcht erregend.
Dabei hätte alles ganz anders kommen können.

Man stelle sich vor, Steve Bannon und David Bossie hätten im August 2010 keinen Erfolg gehabt.
Man stelle sich vor, die erste Prophezeiung des Rechtsauslegers Bannon zu Donald Trumps Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur hätten sich bewahrheitet.
Da fragte der konservative Aktivist Bossie den radikalen Rechten Bannon: „Glaubst du, er tritt an?“
Und Bannon antwortete: „Keine Chance. Null Chance… Weniger als null. Guck dir mal an, was für’n verficktes Leben der jetzt hat, Alter. Ich bitte dich. Der macht das nicht. Der lässt sich nicht nackt machen.“
So endet das erste Kapitel des Beststellers „Furcht. Trump im Weißen Haus“ von Bob Woodward.
Trump wäre heute nicht der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Und Starreporter Bob Woodward fährt zu Beginn des zweiten Kapitels, das sechs Jahre später (Juli 2016) spielt, so fort: „Eines ist so gut wie sicher: Die Welt sähe heute ganz anders aus, hätten sich die folgenden Ereignisse nicht auf eine so unwahrscheinliche, willkürliche, fahrlässige Weise weiterentwickelt. Am 21. Juli 2016 ließ sich Donald Trump als Kandidat der Republikaner aufstellen…“ …. und die haben ihn nicht gestoppt, und auch die Wähler haben ihn nicht gestoppt…
… und heute verstört der ressentimentgeladene Trumpismus die Nation und die Welt, ist „America First“ Drohung, Bedrohung und Leitmotiv zugleich. Ein offenkundig sturer, rücksichtsloser konservativer Nationalist betreibt national wie international eine Politik, die irrlichternd, rücksichtslos und egomanisch erscheint, aber doch Grundkonstanten hat. Trump will „Deals“ machen – und ist dabei eine Verkörperung der Spieltheorie. Und er will Lob. 100 Prozent Bewunderung. „Trump First“, das ist der Deal.
Es geht immer darum, wer als erster die Nerven verliert und einknickt. Trump will nie verlieren. Und er will seinen Willen durchsetzen. Immer. Auch dann, wenn er fünf Poker-Blätter gleichzeitig mit fünf Händen spielt.
Macht heißt für ihn: Furcht verbreiten.
Dieses Trump-Zitat stellt Reporter-Legende Bob Woodward seinem brillanten Enthüllungsbuch voran:
„Wirkliche Macht ist – ich möchte dieses Wort eigentlich gar nicht benutzen – Furcht“. Trump sagte es als Präsidentschaftsbewerber im Interview mit Woodward und Robert Coast am 31. März 2016 im Old Post Office Pavillon des Trump International Hotels in Washington D.C..
Schon diese ersten Zeilen zeigen, wie Bob Woodward vorgeht: „Das Buch ist ein Extrakt aus Hunderten von Stunden an Interviews mit Leuten, die die geschilderten Vorgänge selbst mitgestaltet und miterlebt haben.“ (13)
Es waren fast immer Interviews „unter zwei“. Das ist ein journalistischer Grundsatz, der besagt, dass alles, was gesprochen wird, benutzt werden darf, jedoch ohne Nennung oder Kenntlichmachung der Person.
Fast alle Gesprächspartner gestatten Woodward, die Interviews auf Tonträger aufzunehmen.
Bänder sind für Journalisten Gold wert.
Sie haben im Zweifelsfall Beweischarakter und erlauben „eine präzisere Nacherzählung“ dessen, was gesprochen oder erzählt wurde.
„Wörtliche Zitate, Gedankengänge oder Schlussfolgerungen stammen von der zitierten Person, von einem unmittelbar beteiligten und daher kundigen Kollegen oder aus Protokollnotizen, Tagebüchern, Akten sowie aus amtlichen oder persönlichen Dokumenten.“ (13)
Warum lassen sich die Gesprächspartner auf diese Interviews „unter zwei“ ein? Weil sie wollen, dass ES ans Tageslicht kommt. ES ist das Unfassbare, und Woodward, der mit allen Höhen, Tiefen und Untiefen amerikanischer Regierungen vertraut ist, soll es offenlegen. Er ist die Instanz.
Wir können Woodward also vertrauen.
Alle kommen sie zu Wort in diesem Dokument der Zeitgeschichte, bis auf Trump, der für dieses Buch nicht interviewt werden wollte: Gary Cohn, der bis zum März 2018 Direktor des Nationalen Wirtschaftsrats (National Economic Council) war, der ehemalige Vorsitzende des Republican National Committee (RNC) Reince Priebus, der als Quelle offenbar besonders ergiebig war und seine Erfahrungen als Stabschef im Weißen Haus und als Wahlkampf-Organisator anscheinend plastisch geschildert hat. Mit seinem Wahlkampf-Engagement für Trump hatte er eingewilligt, “einem Ertrinkenden die Hand zu reichen“ (Woodward, S. 39) – und er hatte Erfolg. Da waren die Interviewpartner Rob Porter, bis Februar 2018 Chef-Sekretär von Donald Trump und damit „Gate Keeper“ zum Präsidenten, und Lindsay Graham, Senator aus South Carolina, Außenpolitiker und gewiefter Deal Maker im Senat. Und schließlich gibt es so viele Zitate über den Krawallmann Steve Bannon (und von ihm?), der bis August 2017 Trumps Chefstratege war, dass für Authentizität bestens gesorgt ist.
Manches, was Woodward schreibt, klingt bizarr, weil man sich bisher nicht vorstellen konnte, dass in der Schaltzentrale der Supermacht USA ein solches Tohuwabohu herrscht.
Die dunklen Verbindungen konnte man bereits ahnen, wenn man David Cay Johnsons Trump-Bücher und Michael Wolffs „Feuer und Zorn“ gelesen hatte. Bei Woodward wird dies alles noch plastischer und griffiger.
Spannend sind nicht nur die Einblicke in die Russland-Kontakte von Trump und seinem Team.
Auch außenhandelspolitischen Eskapaden Trumps und sicherheitspolitischen Irrationalitäten verblüffen und irritieren gleichermaßen.
Wenn das alles so stimmt, wie Woodward es (mit vielen Quellennachweisen) beschreibt, und es spricht alles dafür, dann ist der narzisstisch geprägte US-Präsident Donald Trump eine Gefahr für den Weltfrieden und den Welthandel.
Das sahen im Juli 2017 (- Trump war gerade ein halbes Jahr im Amt -) auch der damalige Verteidigungsminister Jim Mattis und Wirtschaftsberater Gary Cohn so. Weil Präsident offensichtlich nicht verstehen wollte, wie wichtig die Verbündeten in Asien und Europa für die USA sind, auch sicherheits- und handelspolitisch, mussten sie es ihrem Präsidenten erklären: Sie wollten ihm klarmachen, wie militärische, wirtschaftliche und geheimdienstliche Partnerschaften mit ausländischen Regierungen miteinander verknüpft sind. Ihr Plan klang überzeugend: Sie wollten den twitternden Real POTUS (President Of The United States) herausholen aus seinem „natürlichen Lebensraum“ (290), dem Weißen Haus, „wo er täglich acht Stunden fernsieht, und ihm im Pentagon die Komplexität der Welt erklären. Sie bringen ihn in einen holzgetäfelten Konferenzsaal, denn Optik ist für Trump wichtiger als Substanz.“ ( Matthias Kolb in der SZ). Dieser Konferenzsaal ist der „Tank“, der gesicherte Konferenzraum der Vereinigten Generalstabschefs der USA. Kurz vor 10 Uhr am 20 Juli „überquerte Donald Trump den Potomac River und fuhr zum Pentagon. Der Tank hatte seinen Reiz. Trump liebte diesen Raum. Wegen seines Teppichbodens und der Vorhänge manchmal auch Gold Room genannt, wirkt der Konferenzraum überladen und feierlich und stellt im Grunde einen intimen, hochgesicherten Rückzugsort dar, der Jahrzehnte lange Geschichte atmet. Mattis und Cohn organisierten die Präsentation als Geschichtsunterricht und geostrategische Machtprobe.“ (290)
Es war der eigentlich unerhörte Versuch einer Machtprobe gegen den Präsidenten. „Gemeinsam würden sie gegen Trump kämpfen. Handelskriege oder Störungen der globalen Märkte konnten die prekäre Stabilität der Welt verletzen und unterminieren.“ (290)
Aber sie hatten Trump unterschätzt. Der hatte seinen Chefstrategen Steve Bannon im Schlepptau, der ihm Rückendeckung gab. Bannon hielt die globale Weltsicht „für eine Art Fetisch. Seine eigene Besessenheit lautete noch immer ‚America First‘.“ So anachronistisch das Weltbild auch sein mag: Es war und ist Trumps Mantra und Vision.
Und so stießen alle Bedenken von Mattis und Cohn, Tillerson und Mnuchin auf taube Ohren. Der Präsident pöbelte und beleidigte, sagte im Hinblick auf die Einwände seiner Experten, dass er „davon nichts hören“ wolle, es sei ihm „scheißegal“; zu fehlenden militärischen Erfolgen in Afghanistan meinte er: „Ihr solltet einfach Leute umbringen. Dazu braucht man doch keine Strategie“ und erklärte mit Blick auf die europäischen Verbündeten. „Die Europäer sind einfach zu nichts zu gebrauchen“. (295)
Das Treffen wurde ein völliger Fehlschlag, ein totales Desaster.
„Das Misstrauen in dem Raum war greifbar und ätzend gewesen, die Atmosphäre unzivilisiert; obwohl alle vordergründig auf derselben Seite standen, hatten sich alle gepanzert, vor allem der Präsident.
So also sah Wahnsinn aus, dachte Priebus“. (298)
Und Gary Cohn fragte Außenminister Rex Tillerson: „Alles in Ordnung?“
„’Er ist ein verdammter Vollidiot‘, sagte Tillerson so, dass alle es hören konnten“. (297)
Für ihn ist Politik eine reality show, sein liebstes Schlachtfeld liegt im Reiche Twitter. Mit seinen Tweets polemisiert und polarisiert er wie kein anderer Staatschef vor ihm – mit Kurznachrichten des Typs: «Ich will den Sumpf trocken legen, und der Sumpf wehrt sich. Macht euch keine Sorgen. Wir werden gewinnen.» Wenn er „in der Stunde des Hexers“ in den frühen Morgenstunden „vom wilden Affen gebissen“ (273) ist und alles in die Welt twittert, was ihm in den Sinn kommt („Das ist mein Mwegaphon“, „Ich durchdringe den Lärm“, „Ich habe zig Millionen Follower“, 273), dann ist der Friede in Gefahr – und sein Ego befriedigt: Twitter als Masturbation – was für ein Testosteron-Irrwitz.
In seinen Augen war auch die Machtprobe im „Tank“ des Pentagon „großartig“, ein „sehr gutes Treffen“ (298). Und Bannon, der Barbar bestätigte ihn in seiner Egomanie: „Sie waren großartig“ (298), sagte er.
Und so begann der Präsident in diesem Sommer 2017 erst richtig, über Twitter und Statements zu belehren und zu beleidigen und sich die Welt nach seinen Maßstäben zurechtzubiegen, zu feuern und Leute seines Kalibers zu berufen, etwa in den Obersten Gerichtshof. Nichts und niemand konnte ihn seither stoppen. Keiner war vor seinen impulsiven Hire-and-Fire-Aktionen sicher.
Selbst Bannon der Barbar musste irgendwann gehen.
Aber Trump ist trotz aller Krisen und Attacken noch immer im Amt, und womöglich wird er ein zweites Mal gewählt, wenn es nicht gelingt, ihn auch in den USA bei seinen eigenen Wählern zu entzaubern. Denen aber liefert er permanent Erfolgsmeldungen. „President Trump Delivers for Workers“ twittert er dann. (@WhiteHouse 4.2.2019) „Der innere Kompass des Präsidenten zeigt ausschließlich auf seine Wähler“, schreibt Natalie Wohlleben.
Das zeigte er auch beim vermutlich rechtswidrigen Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. „Um also meine heilige Pflicht zu erfüllen, Amerika und seine Bürger zu schützen, werden die USA das Pariser Klimaabkommen aufkündigen“. Um es noch zu verdeutlichen: „Ich bin gewählt worden, um die Bürger von Pittsburgh zu vertreten, nicht die von Paris“. (259)
Das Pariser Klimaabkommen war an diesem 1. Juni 2017 tot – gekillt von einem Präsidenten, der sich keinen Deut um internationale Verträge und Konventionen scherte.
Dass er die Welt bereits 2017 an den Rand eines Atomdesasters geführt hat, beschreibt Woodward ebenfalls. „Anfang 2018 waren Trumps Tweets kurz davor, einen Krieg mit Nordkorea anzuzetteln. Die Öffentlichkeit hat nie zur Gänze erfahren, wie groß das Risiko war, das Trump und Kim Jong-un eingegangen waren, indem sie sich vor aller Welt ein Wortgefecht lieferten.“ (387) Trump schlug im Weißen Haus vor, einen Tweet zu posten, in dem er ankündigt, alle US-Militärangehörigen – „Tausende Familienmitglieder der 28.500 Soldaten“ (389) – aus Südkorea zurückzubeordern, as Pjöngjang als deutliches Signal der USA, sich auf einen Angriff vorzubereiten, gesehen hätte. Ein Verbindungsmann der Nordkoreaner zum Weißen Haus hatte dies unmissverständlich klargestellt. Zuvor hatte Trump bereits als Antwort auf Kim Jong-un getwittert, „dass ich auch einen Atomknopf habe, aber der ist viel größer & mächtiger als seiner, und mein Knopf funktioniert“ (388). Da waren zwei Wahnsinnige, die sich gegenseitig hochschaukelten, und einer von ihnen war Trump, autokratisch gepolter und autistischer Oberbefehlshaber einer der ältesten Demokratien der Welt, der dröhnte: „In diesem Job spiele ich fünf Poker-Hände gleichzeitig, und momentan gewinnen wir die meisten Spiele“ (388). Er wollte Kim „kleinkriegen und austricksen“. Donald Trump ist für US-Regierungsexperten ein Mann, der „ohne die Befugnis von irgendwem Millionen Menschen töten kann“ (Colin Kahl, 389).

Und die Welt fragt:
Was ist das für ein Präsident, dem sein eigener Anwalt John Dowd abrät, sich von Sonderermittler Mueller befragen zu lassen weil dieser „verdammte Lügner“ Trump die 49 Fragen nicht durchstehen wird. Und so sagt er zum Präsidenten: „Als Anwalt, als Vertreter des Rechts, kann ich nicht neben Ihnen sitzen und zusehen, wie Sie sich der Befragung unterziehen, wenn ich genau weiß, dass Sie dazu nicht imstande sind.“ Und er geht noch weiter. Er sagt ihm auf den Kopf zu: “Sie haben ein Problem damit, bei der Sache zu bleiben. Das kann Sie vernichten. Sie versuchen dann, sich selbst zu übertreffen, stellen irgendetwas falsch dar, und wumm.“
Und wumm!
Das ist immer die Gefahr.
Und der großmäulige, narzisstische Zocker Trump, der immer der Schönste, Größte und Beste sein will, würde immer, wenn es ihm in den Sinn kam oder wenn er mal wieder vor Wut schäumte, den Chinesen, den Iranern oder den Europäern ohne jegliche diplomatische Verbrämung eine volle Breitseite verpasste.
Über enge Mitarbeiter wie Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster tönte er: „Der Kerl redet nur Scheiß. Ich habe diesen Typen kennengelernt. McMaster weiß einfach nicht, wovon er spricht.“ (407) Den ehemaligen FBI-Chef Comey nannte er einen „verdammten Lügner“ (228), die Geheimdienste hält er für Ignoranten
Vulgär, rücksichtslos und krawallig – das ist Trump. Und mit dieser Krawalligkeit übt er Furcht aus.
Woodward hat im 21. Kapitel, wo es um Muellers Sonderermittlungen zu Russland und James Comeys Anschuldigungen gegen Trump geht, sehr plastisch beschrieben, wie Trump tickt und wie er Politik macht.

Es geht immer um Stärke, Testosteron, Gewalt und Furcht.
„Donald Trump gab einem Freund, der ihm sein schäbiges Verhalten gegenüber Frauen gestanden hatte, ganz privat einen Rat. Wahre Macht sei Furcht. Es gehe letztlich nur um Stärke. Man dürfe niemals Schwäche zweigen. Man müsse stark sein, sich nicht herumschubsen lassen. Eine andere Möglichkeit gebe es nicht.“ (Woodward, 236)
Und dann zitiert er Trump:
„Du musst alles abstreiten, abstreiten, abstreiten und dann zum Gegenangriff auf diese Frauen übergehen“, redete Trump auf ihn ein. „Wenn du irgendetwas zugibst, irgendein Verschulden eingestehst, dann bist du tot. Das war der Fehler, den du gemacht hast. Du bist nicht mit rauchenden Colts herausgekommen und hast sie herausgefordert. Du musst stark sein. Du musst aggressiv sein. Du musst hart zurückschlagen. Du musst alles ableugnen, was du angeblich getan haben solltest. Gib nie etwas zu.“ (236)
Dieser Mann regiert die Supermacht USA. Und niemand kann seine Egomanie stoppen.
Es geht nicht wirklich um „America First“. Es geht eigentlich immer nur um Donald Trump. „Ständig benotete er sich selbst. Meistens positiv. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Außenwirkung.“ (305)
Der Mann, von dem Steve Bannon, der Barbar, sagte, er werde nie Präsidentschaftskandidat. „Keine Chance. Null Chance… Weniger als null. Guck dir mal an, was für’n verficktes Leben der jetzt hat, Alter. Ich bitte dich. Der macht das nicht. Der lässt sich nicht nackt machen.“ Der lässt sich nicht ausziehen, weil er immer alles ableugnet und nie etwas zugibt.
Es ist die pure Pornografie der Macht. Im Mittelpunkt der Machtmensch Donald Trump und rund um ihn „vagabundierende Eindringlinge, ein desparater Trupp, der nichts als Chaos verursachte“. (311)
Das große Verdienst von Bob Woodward ist es, dies alles detailliert dokumentiert und brillant erzählt zu haben.
Wir müssen uns damit auseinandersetzen, ob wir wollen oder nicht.
Es ist die nackte, brutale, Furcht erregende Wahrheit.
Willkommen im Irrenhaus! (Frankfurter Allgemeine Woche)
Und wir müssen strategisch überlegen: Was machen wir mit diesem Donald Trump?
Fakt ist: Wir dürfen uns nie unterkriegen lassen.
Man muss ihm die Stirn bieten.
Bob Woodward hat es beschrieben.
Nancy Pelosi hat es im Januar 2019 bewiesen.
Auch Trump ist schlagbar.
Das sollte auch Europa beherzigen.

Dr. Armin König

Bob Woodward (2018):
Furcht: Trump im Weißen Haus
Reinbek: Rowohlt. 525 Seiten.
ISBN 978-3-498-07408-1

Das andere Achtundsechzig – Als Gretchen und Helke und Sarah und Sigrid Revolution machten – Ein geradezu sensationelles Geschichtsbuch

In 1968, Politikwissenschaft, Sachbuch, Zeitgeschichte on Februar 3, 2019 at 1:22 pm

Über ’68 ist doch eigentlich alles gesagt, alles geschrieben – oder? Wir kennen die Helden, die erbitterten Gegner, den Kampf gegen Nazi-Väter, die Rebellion der Jugend gegen das Verschweigen der braunen Vergangenheit. So schrieben es die bisherigen Chronisten.
Alles gesagt, alles geschrieben über 1968? Ganz und gar nicht! Christina von Hodenberg beweist es mit ihrem kompakten, spannenden, gegen den Strich der bisherigen Geschichtsschreibung gebürsteten Buch „Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte“.
In fünf Haupt- und zwei Rahmen-Kapiteln beschreibt sie die Achtundsechziger Bewegung unter einem weiblichen Blickwinkel. Grundlagen waren alte Tonaufnahmen auf über 600 Tonbändern, die die Professorin für Europäische Geschichte an der Queen Mary University und Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in London im Keller des Psychologischen Instituts der Heidelberger Universität entdeckte. Das ist ein Glücksfall. Auf diesen Tonbändern fanden sich Interviews mit Senioren, die seit 1965 aufgezeichnet worden waren.
Dazu schreibt sie: „Die Tonaufnahmen, die ich hörte, erschütterten mein Bild von Achtundsechzig“. (9) Systematisch sammelte sie Interviews aus und zu dieser Zeit, ließ sie auf einem alten UHER-Universal-5000-Tonbandgerät ablaufen, verschriftete sie und stellte Erstaunliches fest: „Die Stimmen, die ich hörte, kamen aus den Jenseits meiner vermeintlich gesicherten Kenntnisse von Achtundsechzig“. (9) Was Christina Hodenberg an O-Tönen hörte, passte nicht ins bisherige publizistisch vermittelte Weltbild der 68er und der 68er Jahre.
Es war alles ein bisschen anders, unspektakulärer auch.
Manche Kritiker haben ihr angekreidet, dass sie damit Mythen zerstört hat.
Aber als objektive Historikerin hatte sie keine andere Wahl.
Ihr Kapitel befassen sich mit dem „Schah-Besuch in Bonn und Berlin“ (19), den Stereotypien „von Kriegskindern und Nazieltern“ (45), der „Rolle der Alten“ (Trau keinem über 60?“) und der Geschlechterfrage. Dieses fünfte Kapitel unter dem Titel „Achtundsechzig war weiblich“ (103) ist ein Schlüsselkapitel des Buchs. Die Frauen der 68er Bewegung seien zu Unrecht vergessen oder beiseitegedrückt worden, schreibt die Historikerin:
„Der feministische Teil der Studentenproteste wird geringeschätzt und als Nebenaspekt des politischen, männlichen Achtundsechzig betrachtet“. (107) Als kritische Leserin stellt sie fest: „Unsere Bücher über Achtundsechzig zeigen auf dem Umschlag junge Männer, allen voran Rudi Dutschke, Daniel-Cohn-Bendig, Fritz Teufel und Rainer Langhans“. (107) Als Kontrast zitiert sie Gretchen Dutschke Klotz, dies es „furchtbar“ fand, „dass mich so viele nur als ‚Frau von Rudi‘ gesehen haben“ und sich „nur für Rudi interessierten“. (111) Dabei verstand der den Drang der Frauen nach Unabhängigkeit gar nicht, auch nicht Gretchens Widersprüche – und nicht den Ärger und den „Reibungspunkt“, dass Dutschke eine „Geringschätzung von Hausarbeit“ (111) an den Tag legte, wie viele andere Männer der Studentenbewegung auch.
Die „privaten Auseinandersetzungen um die Emanzipation der Frauen“ waren eben keine „Hintergrundkulisse“ (110), sondern zentral.
So klingt Hodenbergs Schlussfolgerung sensationell:
„Vielleicht müssen wir den Charakter von 1968 als historisches Ereignis anders begreifen, wenn wir das Private gleichgewichtig neben das Öffentliche stellen. Wie schwer wiegen die klassisch politischen Motive der Protestbewegung – der Protest gegen die fortdauernde NS-Belastung, die Kritik des Kapitalismus, der Konsumgesellschaft und des Imperialismus – neben dem Versuch der Frauen, die Geschlechterrollen, die Lebensläufe und die Familien zu verändern? Nicht zufällig ist das westdeutsche 1968 schon häufiger als ‚Lebensstilrevolution‘ gedeutet worden, neben der die fehlgezündete politische Revolte bis zur Bedeutungslosigkeit verblasst“. (110).
Das ist gewagt, originell und erhellend (Isabell Trommer in der Süddeutschen Zeitung), ja sensationell (Wolfgang Hellmich in der Neuen Zürcher Zeitung).
Es gibt aber auch Kritiker, die von Hodenberg vorwerfen, ihr Material methodisch ungenau bearbeitet zu haben. Christoph Möllers hat dies in der FAZ ausgeführt. Es geht ja nicht darum, ob sich „der Weltgeist den Bedürfnissen des Buchmarkts fügt“. Wenn dem so wäre, wäre der Weltgeist bisher ein Mann gewesen, vor allem bei historischen Crossover-Büchern. Methodisch kann man ihr nichts vorwerfen, inhaltlich schon gar nicht.
Ich finde es erfreulich, dass Hodenberg in ihrer Entmythologisierung von #68 auf angloamerikanische Art ihr Material erzählerisch aufbereitet. Das steht im Gegensatz zur oft ermüdenden und keineswegs notwendigen deutschen Fußnoten- und Anmerkungswüste. Wir haben es hier nicht mit einer Dissertation zu tun.
Wo es aber um historische Narrative geht, auch um deren Zertrümmerung, genügen der Anmerkungs-Apparat und Literaturliste voll und ganz den Ansprüchen der Wissenschaft. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die besten und erfolgreichsten Geschichtsbücher der letzten Jahre von angloamerikanischen Autoren geschrieben wurden.
Möllers kriegt dann doch noch die Kurve. „Zu den wichtigsten Anliegen des Buches gehört es, eine Epoche für die ein Haufen junger Männer emblematisch geworden ist, den Frauen zurückzugeben, ohne die sie nicht möglich gewesen werden.“ Und dass Hodenberg die alten Tonbänder als Kern einer alternativen Mentalitätsgeschichte des Jahres 1968 verwendet habe, sei ein gelungener Einfall.
Christina Trommer (SZ) lobt Hodenbergs methodischen Ansatz, anhand von archivierten Tonband-Interviews drei Generationen in den Blick genommen zu haben: die Revoltierenden selbst, ihre Eltern und ihre Großeltern. Dabei habe sie entdeckt, dass viele gesellschaftliche Wandlungen schon zuvor eingesetzt hatten, dass 1968 auch provinziell und heterogen war und auch der Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Geschichte begrenzt.

Fazit:
Dieses Buch ist richtig wichtig – auch für die Männer aus der „68er- und Folge-Generation“, übrigens indirekt auch für die Geschichte der Sozialdemokratie (schließlich landeten nicht wenige 68er-Revoluzzer bei der SPD, wo sie später Karriere machten).
Es ist ein wichtiges Buch gegen den männlichen Absolutheitsanspruch auf #68, das die Studentenrevolte nach 50 Jahren endlich geschlechtergerecht einordnet und erzählt. Für Historiker und historisch Interessierte ist es eine wahre Fundgrube.

Christina von Hodenberg rückt wichtige Frauen wie Gretchen Dutschke-Klotz, Helke Sander, Sigrid Damm-Rüger und Florence Hervé in den Focus – neben Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit und Hannes Heer.

Der Verlag ist sehr zu loben für dieses Projekt. „Das andere Achtundsechzig“ ist ein Volltreffer.

Nur ein Satz war mir etwas dick aufgetragen: Die Verlagsbehauptung von C.H. Beck, es sei „die erste wahre Gesellschaftsgeschichte der Revolte von 1968.“ Andere haben auch ihre Verdienste.

Dr. Armin König

Christina von Hodenberg: „Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte“
C.H. Beck Verlag, München 2018
250 Seiten, 24,95 Euro

Ein neues Standardwerk zu Engagement und Zivilgesellschaft

In Politikwissenschaft, Sachbuch on Januar 13, 2019 at 10:32 pm

Thomas Klie & Anna Wiebke Klie (Hrsg.) : Engagement und Zivilgesellschaft : Expertisen und Debatten zum Zweiten Engagementbericht. ISBN: 978-3-658-18473-5. Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften. 580 Seiten. 79,99 Euro. Ebook: 62,99 Euro.

rezensiert von Dr. Armin König

Das Engagement der Zivilgesellschaft ist für eine lebendige Demokratie von unschätzbarer Bedeutung. In einem umfassenden Berichtsband haben die Autoren um Thomas Klie und Anna Wiebke Klie die Ergebnisse des Zweiten Engagementberichts für die Bundesregierung zusammengefasst. Es ist ein umfassendes Referenz- und Standardwerk für alle geworden, die sich mit Engagement, Zivilgesellschaft und dem Leitbild der Bürgerkommune befassen. Auch für die Politik in Bund, Ländern und Gemeinden ist „Engagement und Zivilgesellschaft“ ausgesprochen nützlich und hilfreich.   Es ging darum, einen aktuellen Stand zur „Lebenswirklichkeit und Vielfalt des Engagements und der sehr unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen in den Städten und Gemeinden“ (573) zu erfassen, zu dokumentieren, zu analysieren und daraus Politikempfehlungen zu entwickeln. Damit sollen auch Impulse an die Akteure vor Ort gegeben werden. Bei ihren Recherchen  kommen die Wissenschaftler der Zweiten Engagementberichtskommission zum Ergebnis, „dass für die Bürgerinnen udn Bürger in Deutschland das als ‚bürgerschaftlich‘ bezeichnete Engagemente immer mehr zum Lebensstil und zu Selbstverständlichkeit“ (573) werde. Doch Engagement sei nicht nur als individuelle Entscheidung zu einer bestimmten Lebensform zu sehen. Der Rahmen müsse viel weiter gesteckt werden. So müsse man die strukturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen deutschen Regionen und für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit betrachten. Erst dann sei es möglich, „die integrative Wirkung und die Bedeutung des Engagements in seinen verschiedenen Spielarten für eine vitale Zivilgesellschaft, für die soziale Kohärenz, die Gestaltung des ökonomischen Wandels, aber auch für die gelebte Demokratie zu nutzen“. (573)Die gibt es offensichtlich, wie die Autoren auf immerhin 580 Seiten ausführlich erläutern. Zu den Autoren gehören zahlreiche namhafte Wissenschaftler. Es ist ein Who is who der Engagementforschung – darunter sehr unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Umso erfreulicher, dass hier ein in sich konsistenter Berichtsband vorgelegt wird von Baldo Blinkert, Adalbert Evers, Wilhelm Haumann, Michael Hüther, Anna Wiebke Klie, Thomas Klie, Renate Köcher, Thomas Olk (+), Paul-Stefan Roß, Roland Roth, Thorsten Ingo Schmidt und Martina Wagner. In elf umfassenden Kapiteln setzen sie sich mit unterschiedlichsten Facetten von Engagement und Zivilgesellschaft auseinander. 

  1. Einleitung – Zum Inhalt des Sammelbandes (Anna Wiebke Klie & Thomas Klie)
  2. Auftrag, Anliegen, Arbeitsweise der Zweiten Engagementberichtskommission (Thomas Klie)
  3. Engagement in Zahlen (Renate Köcher & Wilhelm Haumann)
  4. Engagement und Bildung (Thomas Olk +)
  5. Bürgerkommune (Paul-Stefan Roß &  Roland Roth)
  6. Daseinsvorsorge aus rechtswissenschaftlicher Perspektive (Thorsten Ingo Schmidt)
  7. Zivilgesellschaftliches Engagement in Deutschland und Europa (Baldo Blinkert & Thomas Klie)
  8. Migration und Engagement (Anna Wiebke Klie)
  9. Flüchtlinge und Engagement 8Adalbert Evers & Anna Wiebke Klie)
  10. Verantwortung und Identität vor Ort (martina Weger & Thomas Klie)
  11. Die Engagementberichterstattung der Bundesregierung (Thomas Klie & Michael Hüther)

Leider kommen die Autoren zum Ergebnis, dass Engagement und Zivilgesellschaft „weithin im Souterrain politischer Bedeutung platziert ist“ (573). Das gilt sowohl für die Medien, in denen Schlagzeilen und Events im Vordergrund stehen, als auch für die politische Resonanz. Diese untergeordnete Wahrnehmung wird der Bedeutung des Themas nicht gerecht. Engagement der Zivilgesellschaft hat eine zentrale politische Dimension und ist ein „infrastrukturelles Querschnittsthema für die Demokratie“ (574). Wo Bürger sich aktiv einbringen, hat eine Gesellschaft mehr Vitalität und mehr Resilienz.Das Engagement der Zivilgesellschaft wird unterschätzt. Eine der zentralen Botschaften lautet: „Wir müssen Voraussetzungen für die Bereitschaft zur Mitgestaltung öffentlicher Angelegenheiten in der Bevölkerung und für die verschiedenen Spielarten der Verantwortungsübernahme schaffen“. (575)  Wenn Bundes- und Landespolitik dies wirklich ernst nehmen, hat sich die zweieinhalb Jahre dauernde Arbeit der Kommission gelohnt.     

Zusammenfassung:

Das Engagement der Zivilgesellschaft ist für eine lebendige Demokratie von unschätzbarer Bedeutung. In einem umfassenden Berichtsband haben die Autoren um Thomas Klie und Anna Wiebke Klie die Ergebnisse des Zweiten Engagementberichts für die Bundesregierung zusammengefasst. Es ist ein umfassendes Referenz- und Standardwerk für alle geworden, die sich mit Engagement, Zivilgesellschaft und dem Leitbild der Bürgerkommune befassen. Auch für die Politik in Bund, Ländern und Gemeinden ist „Engagement und Zivilgesellschaft“ ausgesprochen nützlich und hilfreich.

Verlagsinformation:

„Der Sammelband umfasst zentrale Expertisen und Beiträge für eine zukunftsorientierte Engagementpolitik und bietet vielfältige Impulse für die aktuelle Debatte um Zivilgesellschaft, Demokratie und Engagement. Er beinhaltet eine detaillierte Analyse und Aufbereitung der Datenlage zum personen- und organisationsbezogenen Engagement in Deutschland und Europa. Neue Erkenntnisse zur Ausgestaltung zivilgesellschaftlicher Strukturen werden vorgestellt, die für Deutschland und Europa politische Implikationen enthalten. Die Themen Bildung, Bürgerkommune, Daseinsvorsorge, Migration, Flucht und Integration werden in ihrer Bedeutung für die vielfältigen Engagementformen, die für eine vitale Zivilgesellschaft elementar sind, beleuchtet.“