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Rohes Öl, rohe Welt, blutiges Geschäft – Peter Maass fordert Windräder statt Haubitzen

In Öl, Politikwissenschaft, Sachbuch on August 7, 2010 at 10:37 pm

Peter Maass (2010): Öl: Das blutige Geschäft. München: Droemer. 19,95 €. ISBN 978-3-426-27529-0

rezensiert von Armin König

Der deutsche Titel klingt nach einer BILD-Schlagzeile: „Öl – Das blutige Geschäft“. Geahnt haben wir es ja immer schon, wie schmutzig das Ölgeschäft ist. Und nun erfahren wir, dass die Öl-Förderer tatsächlich Blut am Schuh haben. Doch das wäre eine zu simple Zusammenfassung dessen, was der renommierte US-Journalist Peter Maass über den wohl wichtigsten Rohstoff der Welt zusammengetragen hat. Dafür ist er ein viel zu guter Rechercheur und ein viel zu brillanter Schreiber, um so eindimensional zu argumentieren.

Der Originaltitel ist zweideutig, spielt mit Wortbedeutungen: „Crude World. The Violent Twilight of Oil.“ Das lässt Interpretationen zu. „Crude“ kann barbarisch, grausam, grob und ungehobelt bedeuten, „violent“ steht für gewalt, „twilight“ für Zwielicht und Dämmerung gleichermaßen. Andererseits ist „Crude Oil“ nichts Anderes als Rohöl, der Grundstoff unseres Industriezeitalters. So einfach ist die Welt und doch so kompliziert. Es gibt nicht die eine richtige Ölszenerie. Das Geschäft ist von Land zu Land verschieden. Mal ist es zwielichtig, mal grausam und blutig, mal geht es krude Affären, die so leicht zu durchschauen sind, dass man kaum glaubt, dass sie möglich sind, mal geht es um reine Geschäftsinteressen einer Welt, die auf einen Rohstoff angewiesen ist, von dem sie nicht weiß, ob es ihn noch lange genug in ausreichender Form gibt, weil etwa die Förderländer sich in Geheimniskrämerei üben.

Peter Maass hat in vielen Twilight-Zones recherchiert, in Elendsvierteln, in Lobbyzonen, in noblen Kreisen. Manches von dem, was er herausgefunden hat, übersteigt alle Befürchtungen, die wir seit „Dallas“ hegen: Wir wissen nun, dass an Öl noch mehr Dreck und Blut und Unglück klebt als an Gold. Die Mischung aus Gewalt, Barbarei, Schattenwirtschaft einerseits und Luxus, Prominenz und Börsenerfolg für die Profiteure des Öl-Business andererseits verblüfft und desillusioniert. Liest man Maass, kommt man zur Überzeugung, dass es abseits der industriellen Nutzbarkeit, dem hohen Energiepotenzial und der Flüssigkeit nichts, aber wirklich nichts Gutes an diesem Rohstoff gibt.

Das Beispiel Nigeria spricht Bände: „Als Geologen, die für Shell arbeiteten, in Nigeria Öl entdeckten, verfügte das Land über eine wachsende Industrie und eine gesunde Landwirtschaft. Mit der in Großbritannien ausgebildeten Elite hatte Nigeria 1960, als es unabhängig wurde, beste Aussichten. Das Volk wurde in den Glauben versetzt, der gerade entdeckte Schatz im Delta werde für eine rosige Zukunft sorgen.“ (80)

Doch am Ende kam alles ganz anders, obwohl das afrikanische Land im Erdölgeschäft reüssierte. Maass bilanziert nüchtern: „Nigeria, inzwischen der achtgrößte Ölexporteur der Welt, verdiente in den letzten Jahrzehnten mehr als 400 MiIliarden Dollar durch das Öl, doch neun von zehn Bürgern leben von wenige als zwei Dollar pro Tag, und jedes fünfte Kind wird nicht einmal fünf Jahre alt.“ Welche Verkommenheit! Und so lautet auch das Kapitel über die Zustände in Nigeria: Verkommenheit. Denn aus einem aufstrebenden Staat ist ein siechendes Land geworden: „Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ist nur ein Fünftel dessen, was Südafrika aufweist. Selbst der Senegal, der Fisch und Nüsse ausführt, verfügt über ein größeres Pro-Kopf-Einkommen. Nigerias Reichtumg ist nicht wie durch Magie einfach verschwunden. Er wurde gestohlen – von Präsidenten, Generälen, Managern, Mittelsmännern, Buchhaltern, Bürokraten, Polizisten und jedem anderen, der Zugang dazu hatte.“ (81)

Und was machen die Erdölkonzerne? Sie wimmeln kritische Journalisten und aufdringliche politische Rechercheure ab. Maass beschreibt, dass die Konzerne meist recht geschickt sind, wenn es darum geht, unbequemen Fragen auszuweichen, was wir zuletzt bei BP in der Deepwater-Horizon-Katastrophe erlebt haben. Zuweilen fördern Untersuchungskommissionen und unerschrockene Journalisten aber doch peinliche Fakten ans Licht. Dass Erdölgesellschaften schmierige Geschäfte mit korrupten Tyrannen gemacht haben, und dass die mit Petrodollars ihre Gegner kaltstellen, foltern und ermorden ließen. Die abgezweigten Millionen konnten Despoten in westlichen Banken unter Umgehung aller Schwarzgeld-Schutzvorschriften gewinnbringend anlegen. Es sind keine Geschichten aus 1001 Nacht, sondern Fakten aus der knallharten Welt des Öl-Business. Die Banken sitzen unter anderem in den USA, der Schweiz und Luxemburg. Und damit sind auch wir Europäer mitten drin im schmutzigen Ölsumpf.

Für sein Öl-Buch hat Maass Saudi-Arabien, Russland, Kuwait, Irak, Nigeria, Venezuela, Ecuador, Aserbaidschan, Pakistan und Äquatorialguinea besucht, nachdem er zuvor schon journalistische Erfahrungen in China, Japan, Sudan, Kasachstan, Großbritannien und Norwegen gesammelt hatte. Maass stellt dar, dass schmutzige Petro-Dollars der Saudis fundamentalistische Moslems finanziert haben. Er beschreibt die unselige Entwicklung, die die Demokratie in Russland genommen hat, seit Putin vom Ölreichtum profitiert Und er erzählt ganz und gar unglaubliche Geschichten über die Chuzpe und die Nonchalance, mit der die Ölkonzerne Geschäfte mit Diktatoren und Tyrannen machten und und immer noch machen.

Er stellt aber auch noch eine andere kritische Frage: Wie lange wird dieses Öl, von dem wir so abhängig sind, überhaupt noch reichen? Maass kommt zum überraschenden Ergebnis, dass wir nicht einmal bewusst belogen werden, sondern dass sowohl die Erdölförderländer als auch die Erdölkonzerne in dieser Frage auf völlig ungesichertem Grund argumentieren. Maass macht es sich nicht so einfach, zu behaupten, dass die Grenzen des Wachstums erreicht oder überschritten seien. Stattdessen stellt er fest, dass etwa die Saudis ihre Prognosen auf Grund von Fuzzy-Logic-Berechnungen machen, dass aber Recherchen vor Ort dies nicht belegen können. Zwielicht oder Götterdämmerung für den Götzen Öl? Wir wissen es nicht, wir ahnen aber, dass die Knappheit zu fatalen Folgen wie drastischen Preiserhöhungen führen kann.

Angesichts all dieser faktenreich belegten Katastrophen aus der „Twilight-Zone“ der Erdölförderung fordert Peter Maass weit reichende Konsequenzen von den Industrieländern: „Wir müssen uns gründlich umstellen. Die oberste Priorität darf nicht mehr lauten, an Öl ranzukommen, sondern muss lauten, vom Öl wegzukommen. Das wäre nicht nur für die Erdatmosphäre bessern, sondern auch für die Menschen, die in Nigeria, Äquatorialguinea, Irak, Iran, Russland und anderen rohstoffreichen Ländern leben.“

Angesichts der unseligen Verbindung zwischen Ölvorkommen und militärischen Interessen der USA fordert Maass Windräder statt Haubitzen. Verknappung und drastische Preiserhöhungen könnten das Umsteuern beschleunigen. Allerdings wird der Schatten des Öls nach Ansicht des kritischen US-Publizisten noch lange nachwirken, und wir werden auch noch länger „vom Öl abhängig und mitschuldig an den verschiedenen Formen physischer, ökologischer und kultureller Gewalt“ sein, die mit der Rohölförderung in einer rohen Welt verbunden sind. Deshalb soll die Übergangsphase weg von fossilen hin zu alternativen Energien möglichst kurz sein. „Zum Glück laufen hier die Lösungen für die Erderwärmung, die Ölverknappung und den Ressourcenfluch zusammen“. (314)

Bis dahin will Maass Trransparenz bei Öl- und Gasgeschäften, die Offenlegung und Veröffentlichung von Verträgen im Sinne der Initiative „Publish What You Pay“, eine erheblich stärkere Korruptionsverfolgung durch die Regierungen, Sanktionen bei Verstößen und soziale Werte. „Selbst wenn rechtliche Bestimmungen hartnäckig durchgesetzt werden, können sie allein nicht alles regulieren; sie müssen durch einen sozialen Druck ergänzt werden, der jedem sittenwidrigen und ausbeuterischen Profitstreben entgegentritt.“ (312) An der Stelle sind die Konsumenten und die Mitbewerber gefragt, Korruption und Blutgeld zu ächten. Gleichzeitig sollten die „Regierungen auf eine gute Staatsführung in instabilen, aber rohstoffreichen Nationen hinwirken.“ Hier heißt der Schlüsselbegriff Good Governance,der mittlerweile weltweit ein Rolle spielt.

Das große Ziel aber ist eine Welt, sich sich auf neue, umweltfreundlichere Rohstoffe stützt. Wenn wir wirklich Abschied vom Öl nähmen, langsam aber sicher, könnte dies die Welt ein Stück sicherer machen – und überlebensfähiger.

Peter Maass legt schonungslos offen, wie Öl Korruption fördert, Gewalt und Militäreinsätze provoziert und die Umwelt ruiniert. Sein Aufklärungsbuch zeigt, warum wir den Schalter umlegen müssen und wie wir den Umstieg in eine ökologischere Welt schaffen können. Dieses Sachbuch ist uneingeschränkt empfehlenswert.

siehe auch:

Armin Königsblog: http://wp.me/pUsZ8-ct

Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung ist möglich

In Politikwissenschaft on August 1, 2010 at 11:17 pm

Von Armin König

Was ist schon alles dazu geschrieben worden: Leistungsorientierung im Öffentlichen Dienst und speziell in der Kommunalverwaltung ist spätestens seit dem Neuen Steuerungsmodell der KGSt zu einem Reizthema geworden, über das Personalräte, Gewerkschaften, Bürgermeister, Professoren und Medien trefflich streiten können. Die Einführung der leistungsorientierten Bezahlung im Rahmen des TVÖD und die extrem unterschiedliche Behandlung in den Kommunen sorgen für zusätzlichen Diskussionsstoff. Meist herrscht in der Debatte die normative Sicht vor. Die Sozialwissenschaftlerin Andrea Tabatt-Hirschfeld hat das Thema Leistungsorientierung in einer überzeugenden Dissertation ausführlich und systematisch untersucht.

Zunächst stellt sie fest, dass das in vielen Gemeinde erprobte (und zum großen Teil gescheiterte) Neue Steuerungsmodell die Ökonomisierung der Verwaltung und die Einführung von Kennzahlensystemen begünstigt habe, während Instrumenten der Personalentwicklung weniger Beachtung beigemessen worden sei. Deshalb erkundet Tabatt-Hirschfeld nun Möglichkeiten, in der schwierigen Balance zwischen Rechtsgrundlagen, Außen- und Binnenorientierung, zwischen Eigen- und Gemeinwohlinteressen, zwischen Hierarchie, Netzwerkorganisation und Organisationskultur Anreizmöglichkeiten für die Beschäftigen zu entdecken.

Es würde zu weit führen, hier die Dissertation ausführlich zu besprechen – wer will, kann beispielsweise die Rezension von Prof. Georg Kortendieck auf Socialnet nachlesen.

Hier nur ein paar grundlegende Erkenntnise:

Die herkömmliche Personalpolitik im öffentlichen Dienst ist nur bedingt geeignet, Mitarbeiter zu motivieren. Das gilt auch nach der Einführung des Neuen Steuerungsmodells mit seiner ökonomistischen Grundausrichtung. Insbesondere die Budgetierung wird verworfen. Stattdessen soll ein Netzwerkmodell aufgebaut werden, das sich des Wissensmanagements anstelle des Kostenmanagements bedient. Entschieden wird nach diesem Ideal nicht mehr vorwiegend Top-down durch das Management, sondern in vernetzten Systemen, bei denen auch bottom-up-Vorschläge der Mitarbeiter eine Chance zur Umsetzung haben. Außerdem weist dieses wissensbasierte System über die Binnenorientierung der Verwaltung hinaus. Bürger, Kunden, Umwelt werden stärker berücksichtigt als bisher (Stakeholder-Perspektive).

Dem stark Kontroll-geprägten Personalwesen des öffentlichen Dienstes (Einhaltung von Vorschriften und Budgets) setzt die Autorin (inzwischen Professorin in Coburg) neue Denkmuster, offene Informationssysteme und eine lernende Organisation entgegen. Organigramme und Stellenbeschreibungen, die im Öffentlichen Dienst so ungemein wichtig sind – etwa bei Höhergruppierungen und Beförderungen – sollen künftig nicht mehr das A und O der Personalführung bleiben. Erwünscht sind stattdessen offene Kommunikation und eine Organisationskultur, in der Fehler erlaubt sind, um Selbstkoordination und Kompetenzzuwächse zu ermöglichen.

In der in Verwaltungen oft diskutierten Frage, ob systematische Leistungsbeurteilungen oder Zielvereinbarungen besser ist, bleibt Andrea Tabatt-Hirschfeld unentschieden. Sie schlägt ein Kombimodell vor und empfiehlt Chefs, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern regelmäßig Feedback zu geben. Offenbar geschieht dies viel zu selten.

Bemerkenswert sind die Erkenntnisse, dass durch unzufriedene Mitarbeiter, die in die innere Emigration gegangen sind, ein enormer gesamtwirtschaftlicher Schaden (durch Fehlzeiten, mangelnde Produktivität, Fehler) entsteht, der von Gallup auf 250 Milliarden Euro geschätzt wird. Als Gründe für das Nicht-Engagement werden Managementfehler, autoritärer Führungsstil, fehlende Anerkennung für die Mitarbeiter, mangelnde Förderung und fehlende Chancen, eigene Ideen einzubringen genannt.

Völlig unterschätzt wird bisher die Sozialkompetenz von Führungskräften. Von ihnen werden umfassende soziale Kernkompetenzen, Offenheit und Kommunikationsfähigkeit gefordert. Gleichzeitig muss von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun Entscheidungsfreude, Kooperations- und Konfliktfähigkeit und die Bereitschaft zu gemeinsamer Zielentwicklung erwartet werden.

Auch ideelle Faktoren sind viel stärker als bisher zu gewichten. Das ist auch der überraschendste Befund von Tabatt-Hirschfeld.

Demnach spielt die Gemeinwohlorientierung einer Kommunalverwaltung bei der Leistungsorientierung der Mitarbeiter eine unerwartet große Rolle. „Je stärker die Vernetzung zwischen Gemeinwohlorientierung und Organisationskultur, bzw. Netzwerkstruktur und Gemeinwohlorientierung ist, desto wirksamer ist dies für die kommunale Leistungsorientierung.“ Partizipation, Vernetzung mit anderen Akteuren, Kooperationen, Wissensvermittlung und Handeln für das Allgemeinwohl motivieren die MitarbeiterInnen, wenn sie dafür Anerkennung, Lob und auch finanzielle Belohnungen erhalten.

Ohne Sozialkompetenz der Vorgesetzten ist die Umstellung nicht zu erreichen. Chefs müssen bereit sein, kooperativ Ziele zu finden und zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu moderieren und Interessen auszugleichen.Dann ist Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung auch in der Breite möglich.

Leider fällt ein Schatten auf diese positive Entwicklung: Die restriktive Finanzpolitik konterkariert die Reformbemühungen und könnte am Ende das kleine Pflänzchen Hoffnung platt machen.

Das Buch:

Andrea Tabatt-Hirschfeldt: Leistungsorientierung in der Kommunalverwaltung. Chancen – Hindernisse – Wirkung. ZIEL Verlag (Augsburg) 2009. 427 Seiten. ISBN 978-3-940562-14-2. D: 36,80 EUR, A: 25,50 EUR, CH: 44,00 sFr.
Blaue Reihe – SozialWirtschaft Diskurs.

(c) 2010 Armin König