Selten zuvor hat mich ein Sachbuch so elektrisiert, bewegt, aufgeregt, fasziniert wie dieses: Ronan Farrow beschreibt in „Durchbruch – Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen“, wie er den Skandal um den mutmaßlich verbrecherischen Filmproduzenten Harvey Weinstein aufdeckte, indem er unzählige Interviews führte.
Das Buch erscheint am 15. Oktober zur Frankfurter Buchmesse. Im Original heißt das Buch übrigens viel treffender „Catch and Kill“. (Little, Brown and Company, New York).
Was zunächst wie eine mühsame journalistische Recherche-Beschreibung aussieht, entwickelt sich zum Krimi: Bestechung, Verrat, Korruption, Schweigegelder, politische Connections, Unterdrückung von Beweismitteln, Rechtsbruch, Mobbing, Zerstörung von Karrieren, Bespitzelung der Aufklärer und der Zeuginnen – schon dies reicht für eine unglaubliche Story. Es sind die Namen und die Methoden der Beweis- und Nachrichtenunterdrückung bis in höchste politische Kreise, die Ronan Farrows Bericht so spannend machen. Das Buch erzählt die Geschichte von kriminellem und lange ungestraftem Machtmissbrauch und dem Mut Einzelner, vor allem dem Mut couragierter Frauen, die Opfer von Weinstein wurden. Es ist aber auch „die sehr persönliche Geschichte einer Selbstfindung“, in der sich Ronan Farrow erneut mit seiner Biografie auseinandersetzen muss.
Ronan Farrow ist der Sohn von Woody Allen und Mia Farrow. Er weiß, wovon er spricht. Sein Vater Woody Allen steht im Verdacht, zwei der Kinder von Mia Farrow sexuell missbraucht zu haben.
Seine Recherche ist hart und schwierig, seine Chefs versuchen, ihn auszubremsen, Anwälte wie der schmierige Rudy Giuliani (Trumps persönlicher Anwalt, auch in Sachen Ukraine) üben Druck aus. Trotzdem schafft es Ronan Farrow, nach unzähligen Interviews mit Opfern, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das Magazin „The New Yorker“ publiziert sie, auch die New York Times publiziert ihre Weinstein-Skandal-Geschichte.
Damit ist der Grundstein für die #meToo-Kampagne gelegt.
Weinstein habe, so Farrows Recherche-Ergebnis, Frauen sexuell missbraucht, immer wieder. Und er habe es getan, weil „er es gewohnt war“, wie er selbst zugab, weil er, der mächtige Produzent, es immer so gemacht hat und weil ihn ohnehin keiner stoppen konnte oder wollte. Die, die es hätten tun können, haben gekuscht, geschwiegen, versagt. Es war Systemversagen.
Seine Chefs bei NBC verboten Ronan Farrow irgendwann, nachdem er schon unzählige Beweise zusammengetragen hatte, mit weiteren „Quellen“ (also Zeuginnen) zu sprechen. Die Senderbosse waren offenbar vom mutmaßlichen Sexualstraftäter Weinstein unter Druck gesetzt worden, denn der hatte Geld und Macht und Connections – und er hatte dreckige Privatdetektive, mit deren Hilfe Schmutzkampagnen losgetreten wurden. Harvey Weinstein, der Mann, der einer Frau nach sexuellen Übergriffen entgegenschleuderte: „Ich bin das so gewohnt“, ließ offenkundig einen der größten US-Sender auf erpresserische Art unter Druck setzen. Und die Bosse kuschten, auch wenn sie dies später wenig glaubhaft dementierten.
Und Ronan Farrow erwiderte diesen feigen Chefs mutig: „Nein, ich werde nicht – was auch immer Sie sagen – die Kontakte zu diesen Quellen abbrechen. Viele Frauen haben eine Menge riskiert, damit das ans Licht kommt, riskieren immer noch viel –“.
Ronan Farrow setzte sich zur Wehr. Und auf der anderen Seite standen ein Multimillionär, der Politiker und Staatsanwälte mit Spenden gefügig machte, Prominente wie Donald Trump, Hilary Clinton, Cyrus Vance jr., Rudy Giuliani und deren Netzwerke und Einflüsterer und Kampagnenberater, AMI, die trübe und kriminelle Geschichten kaufte, um sie exklusiv zu drucken, in Wahrheit aber für immer in Geheimtresoren bunkerte und damit auf ewig verschwinden ließ.
„Ich hatte diese Quellen nach allen Regeln der Kunst befragt. Ich war bereit, den Fakten zu folgen, wo immer das auch hinführte.“
Und es führte dazu, Weinstein mit allen Fakten zu konfrontieren und die Story dann im New Yorker zu publizieren. Der Weinstein-Skandal war in der Welt, und die Welt reagierte mit #meToo, und die Story führte zur Überführung des nicht minder verbrecherischen Multimillionärs Jeffrey Epstein und und zu Trump und vielen weiteren Prominenten.
Das hat eine weltweite Bewegung ausgelöst.
Farrow hat sich in dem zwei Jahre dauernden Kampf um die Wahrheit nicht von Vertuschung und Einschüchterung, Machtmissbrauch und Erpressung, Privatdetektiven und Schmutzkampagnen unterkriegen lassen. Weil er von seinen Schwestern wusste, was sexueller Missbrauch mit Menschen macht. Aber er enthüllt auch die Hintergründe für die Macht der Vertuschung und des Verschweigens und der finanziellen und beruflichen Abhängigkeiten.
Farrow hat dafür den Pulitzer-Preis bekommen.
Das Rowohlt-Buch ist zwar stellenweise schlampig übersetzt (Idioms werden wörtlich ins Deutsche übertragen, aus „Network“ (Radio, Sender) wird „Netzwerk“. Das war wohl dem zeitlichen Druck geschuldet, das Buch rechtzeitig zur Buchmesse 2019 auf den Markt zu bringen. Sieben Übersetzer haben mitgewirkt, das merkt man am Stil).
Aber der Inhalt ist ein Knaller, auch wenn er über viele Seiten nichts Anderes als journalistische Recherchen beschreibt.
Ich bin begeistert.
Ronan Farrow: Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen. Rowohlt. Hamburg 2019.
Dr. Armin König