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Waldnatur – Josef H. Reichholf bürstet wieder einmal Naturthemen gegen den Strich

In Politikwissenschaft, Sachbuch, Umwelt on September 5, 2022 at 10:21 pm

Klimaschutz, heißt es, sei Menschenschutz. Klimaschutz sei auch Waldschutz. Klimaschutz habe vor allem mit Nachhaltigkeit zu tun. Und Deutschlands Wälder brauchten nun Baumarten, die dem Klimawandel trotzen könnten.

All das klingt prima.

Wir müssen ja tatsächlich handeln, denn es steht nicht gut um die deutschen Wälder, die immer mehr unter den Folgen der Klimakrise zu leiden haben. Die Stichworte: Dürre, Stürme, Borkenkäfer. Ein »zukunftsfähiger« Wald muss her – doch wie kann dieser aussehen? 

Josef H. Reichholf ist einer der streitbarsten Ökologen Deutschlands. 30 Jahre lang lehrte er als Honorarprofessor an der TU München Gewässerökologie und Naturschutz. Für Diskussionen haben seine Bücher schon oft gesorgt.

In seinem neuen Buch „Waldnatur“ legt Reichholf Wert auf die Unterscheidung von Wald und Forst. Ein Forst, so Reichholf, sei nichts Anderes als eine „Produktionsstätte für Holz“. Dabei sei Wald doch so viel mehr. Er kritisiert Monokulturen und den neuen Trend, jetzt widerstandsfähigere amerikanische Pflanzen nach Deutschland zu bringen, obwohl die Folgen noch gar nicht absehbar seien.

Auch das beliebte Nachhaltigkeitsgebot nimmt Reichholf genüsslich auseinander. „Gepflanzt wurden rasch wachsende Baumarten, allen voran die Fichte, ohne allzu viel Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie standortgerecht sind. Das war bei Fichten kaum jemals im Flachland der Fall. Auch Laubbaumkulturen passten nicht überall, wo sie angelegt worden waren. Es ging vorrangig um die kommerziell gefragten Eigenschaften der Bäume und nicht darum, ob langfristig stabile Wälder entstehen.

Das vielzitierte und hochgelobte Prinzip der Nachhaltigkeit, das von der Forstwirtschaft entwickelt worden war, betont jedoch lediglich den wirtschaftlichen Aspekt: dem vorhandenen Bestand nicht mehr entnehmen als im gleichen Zeitraum nachwächst. Das zu pflanzen, was von Natur aus passt, steckt nicht im von Hans Carl von Carlowitz propagierten Nachhaltigkeitsgebot.“

Und zu Monokulturen schreibt Reichholf: „Dass die in gleichaltrigen, auch genetisch sehr gleichartigen Beständen großflächig gepflanzten Bäume, dass die Monokulturen im Flachland den Kern der Problematik bildeten, wurde offenbar weitestgehend ausgeblendet. Es sollte wachsen, was gebraucht und gewünscht wurde, nicht was zu den Standortverhältnissen passte. Auch die Neupflanzungen nach den massiven Übernutzungen der Forste im Zweiten Weltkrieg und unmittelbar danach erfolgten unter reinen Ertragsgesichtspunkten.“

Man will es aber nicht hur Kenntnis nehmen in der deutschen Forstwirtschaft. Dort gelten eben andere Gesetze als die der Natur. Es geht um schnöden Mammon,w as derzeit schwierig geworden ist. Also wird über große Veränderungen nachgedacht.

„Die Forste sollen nun klimatauglich werden, nicht aber standorttauglich. Die ansonsten, insbesondere von Naturschützern vehement abgelehnten fremden Arten, die »Aliens«, gelten sogar als Helfer in der Not, weil sie, wie die Roteichen Quercus rubra und die Douglasien Pseudotsuga menziesii aus Nordamerika, mit trockenerem und heißerem Sommerwetter besser zurechtkommen als die heimischen Eichen, Fichten und Kiefern. Standortgerechte Baumbestände werden offenbar als nicht zukunftsfähig eingestuft, obgleich aus dem Forstbereich kommende Naturschützer immer wieder und äußerst nachdrücklich betont hatten, dass die (Rot-)Buche unser naturgemäßer Baum sei und Buchenwälder die natürliche Waldvegetation.“ Schreibt Reichholf und trifft einen Nerv. Sein Stil ist nüchtern und klar, seine Argumentation ist überzeugend. Höchste Zeit, darüber öffentlich zu streiten.

Dr. Armin König / Sigrid König

Info:

Josef H. Reichholf

Waldnatur

oekom-Verlag 

Es gilt das gesprochene Wort oder nicht – Wortmanns Worte und ihre Helden: Exzellent sprechen, nicht sprechen können, nichts sagen mit vielen Wörtern

In Belletristik, Diplomatie, Roman on September 5, 2022 at 9:50 pm

„Die Sprache ist der Zugang zur Welt, und diesen Zugang habe ich nicht. Ich weiß, dass ich deswegen manchmal unterkühlt wirke, unnahbar und distanziert. Aber das bin ich eigentlich gar nicht. Es ist nur die Angst, nicht gut genug zu sein, nicht gut genug besonders für Dich, der die Sprache so liebt und so gut mir ihr umgehen kann“. Sagt Maria, die meist schweigende Freundin Franz-Josefs Klenkes, der vom Werbefuzzi zum Redenschreiber des Außenministers avanciert ist. Maria schweigt in der Öffentlichkeit, weil sie an Mutismus leidet. Fast hätte sie Klenke verlassen, aber sie bleibt dann doch. Und as ist gut für Sönke Wortmanns ersten Roman, denn Maria wird gegen Ende des Romans noch eine zentrale Rolle spielen.

Dritter Protagonist neben Maria und Klenke ist Cornelius von Schröder, der eigentlich Karrierediplomat werden wollte, auch wegen familiärer Traditionen, aber auf der höheren Beamtenlaufbahn des Auswärtigen Dienstes steckengeblieben ist, der Probleme mit seinem Dienstsitz Marokko, mit der Wüste und mit seiner Ehe hat. In Cornelius von Schröders Leben gibt es weder Liebe noch Geborgenheit. Er verbringt zu viel Zeit im Interne, liest radikalen Müll und radikalisiert sich selbst.

Während Außenminister Behring und sein Team die Welt verbessern wollen, steigert sich der unglücklich gescheiterte von Schröder in Verschwörungstheorien, nachdem sein Frau eine Auszeit genommen und mit den Kindern nach Chile zu ihren Eltern gereist war. „Vor Schröder hatte sich ein Abgrund aufgetan“, schreibt Wortmann. Und ab diesem Zeitpunkt dreht er ab, flippte er weg. Schröder, der sexuell und beruflich Frustrierte…

Und als er mit seinen Verschwörungstheorien etwa zum World-Trade-Center-Anschlag bei Kollegen aneckt und mit harschen Worten zurechtgewiesen wird („… muss ich Dir heute leider mitteilen, dass das alles großer Humbug ist“), ist sein zu einer Riesenfehler schon vorgezeichnet.

Derweil reüssiert Klenke. Man sieht ihm beim Reden-Produzieren zu, liest Obamas große Wahlrede, man erfährt, wie die Schreiber die großen Worte bei großen Vorbildern zusammensuchen, auf dass daraus große Auftritte werden.

„Es gehört nun eben auch dazu, dass man in Reden zwar nicht unbedingt die Unwahrheit sagt, aber manche Wahrheit auch nicht ausspricht“, heißt es im Klappentext.

Es geht aber immer auch um Sprache und Kommunikation. Das ist die Metaebene dieses brillanten Romans. Es gilt das gesprochene Wort oder nicht: Exzellent sprechen, nicht sprechen können, nichts sagen mit vielen Wörtern – all dies spielt eine wichtige Rolle. Es gilt das gesprochene Wort (oder das nicht Ausgesprochene).

Hach, es ist ein Fest für Wort-Fans und Kommunikative, für Menschen, die sich noch begeistern lassen von Politik. Sönke Wortmann ist ein Meister der Worte, nicht nur des Films und der laufenden Bilder. Und die kommunikativen Pointen des Romans begeistern.

Unser Tipp: Unbedingt lesen.

Armin König / Sigrid König

Egomane Kissinger – Staatskunst?

In Politikwissenschaft on August 3, 2022 at 9:16 pm

Es gib viele ernst zu nehmende Kritiker und Publizisten, die Henry Kissinger für einen der verantwortungslosesten Außenminister halten, den es in demokratischen Staaten je gegeben hat. Christopher Hitchens (The Trail of Henry Kissinger; dt. Die Akte Kissinger), Greg Grandin („Kissingers langer Schatten“) haben ihn entzaubert und seine Untaten auf vielen Seiten beschrieben, Interviewer fragen offen, ob man Kissinger einen Kriegsverbrecher nennen dürfe.

Andererseits wird er von Vertretern eines macchiavellistischen Weltbildes bewundert.

Er bewundert seinerseits Politiker, die autoritär bis autokratisch führen und hasst Verweichlichung und diplomatische Nachgiebigkeit.

Jetzt hat der greise Kissinger wieder ein dickes Buch geschrieben, bei dem es angeblich um „Staatskunst“ geht, vielleicht auch um sechs „Leader“, die fast alle umstritten sind, vor allem aber um Kissingers Sicht der Welt.

Er ist der Mann, der Atomkriege führbar machen wollte („Kernwaffen und auswärtige Politik“).

Er ist der Mann, der den Massenmörder Pinochet in Chile unterstützt hat.

Er ist der Mann, der mit politischen „Ungeheuern“ dealte.

Kissinger hat Amerika auf den Pfad des ewigen Krieges geführt und bekam den Friedensnobelpreis.

Man muss ihn wirklich nicht bewundern. Und man muss auch das Buch nicht lesen, in dem er Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher für ihre „Leadership“ hoch leben lässt.

„Dass alle sechs autoritäre, gar autokratische Züge aufwiesen und besonders Nixon, Lee oder auch Thatcher in ihren Regierungszeiten hochumstritten waren und spalterisch wirkten, gehört wohl zum Merkmal des Außergewöhnlichen“. (Stefan Kornelius, Süddetusche Zeitung).

Man kann die 608 Seiten aber auch lesen, um Amerika oder einen Teil Amerikas zu verstehen – und die zum Teil erratische Außenpolitik.

Solche Bücher werden Bestseller – ob zu Recht, sei dahingestellt.

Ins Regal.

Wer all dies einordnen möchte, sollte allerdings noch ein zweites Buch lesen, das zwar schon zwei Jahre alt, aber immer noch aktuell ist: Die Kissinger-Biografie von

Bernd Greiner: Henry Kissinger: Wächter des Imperiums.

Ein phänomenales Buch, das sich wie ein Krimi liest.

„Es ist viel mehr als eine exzellente Biografie, es bietet eine Darstellung der Grundzüge und Idiotien amerikanischer Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, sinnfällig gemacht anhand des Gespanns Nixon und Kissinger.“

(Süddeutsche Zeitung, Franziska Augstein)

Und Marie-Janine Calic kritisiert:

„Wer dieses Buch gelesen hat, versteht, auf welchen Ideen das Leitbild von „America first“ fußt – und warum es mit kluger, vorausschauender Weltordnungspolitik unvereinbar ist.“

Dr. Armin König