Ein brillantes Buch von Helmut Lethen über vier Exzentriker, die den NS-Staat stützten – als Teil der kulturellen und wissenschaftlichen Elite im dritten Reich: Gustav Gründgens, Wilhelm Furtwängler, Ferdinand Sauerbruch und Carl Schmitt. Sie waren nicht nur Ikonen des Hitler-Staats, sondern auch Idole der frühen Bundesrepublik. Und sie waren allesamt schuldig, weil sie mit ihrer Komplizenschaft zu nützlichen Idioten eines verbrecherischen Regimes wurden. Ihre Rechtfertigungen haben sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Welt posaunt, und man hat sie posaunen lassen, da sie ein bisschen Widerstand geleistet haben, und ihnen als charismatische Ikonen auch in der BRD noch Kränze geflochten.
Der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen wagt ein Experiment: Er versammelt die vier umstrittenen „preußischen Staatsräte“, die als „Ikonen mit internationaler Reputation“ den Ruf des Dritten Reichs aufpolierten sollten, zu Gesprächen über Feindschaft und Scham, Volksgemeinschaft und Prothesen, Schmerz und Musik. Das ist insofern gewagt, als die vier Staatsräte sich wohl nie getroffen haben. Lethen bemerkt dazu: „Ich konnte kein Dokument finden, das bezeugt hätte, dass sich Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch und Schmitt jemals zu viert getroffen haben. Umso reizvoller war es, ihre Treffen zu erfinden. An Originaltönen herrscht kein Mangel, aber die Fiktion spricht lauter.“ Und so lässt Lethen „Geistergespräche“ führen: In sieben erfundenen Herrenabenden reden der brillante Jurist Carl Schmitt, der große Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler, der schillernde Schauspieler und Generalintendant Gustav Gründgens und der charismatische Star-Chirurg und Charité-Direktor Ferndinand Sauerbruch über den Schein, den Feind, über Prothesen, über den Schmerz, über Gemeinschaft, über die Scham und schließlich über die Entscheidung.
Aus den fiktiven Gedanken und den imaginären Gesprächen der vier Staatsräte präpariert Lethen die Physiognomie der Hitler-Diktatur.
So erzählt er von der Neu-Gründung des Preußischen Staatsrates durch Goebbels.
„Der preußische Staatsrat war in der Zeit der Weimarer Republik ein Vertretungsorgan der preußischen Provinzen gewesen, eine Zweite Kammer in Preußen. Er hatte beratende Gesetzgebungsbefugnis; gegen Ende der Weimarer Republik war Konrad Adenauer als Vertreter Rheinpreußens Vorsitzender.“ (Lethen, 2018, 22)
Hermann Göring brach im Mai 1933 radikal mit dieser Tradition. Er setzte an die Stelle der alten Repräsentanten der Weimarer Republik den Stabschef der SA, Ernst Röhm, den SS-Reichsführer Heinrich Himmler, die Gauleiter der NSDAP in Preußen und seine Staatssekretäre. Außerdem wurden handverlesene Vertreter der Kirchen (Bischof Wilhelm Berning und Landesbischof Ludwig Müller) der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Künste in den neuen Preußischen Staatsrat berufen. Sie dienten als Feigenblatt für ein verbrecherisches System, das sich den Anschein gab, „eine Stätte sachlichen Erörterns von Verwaltungsfragen und damit ein Gegengewicht den den Parteibetrieb“ (Carl Schmitt) der NSDAP zu sein.
Die berufenen Günstlinge konnten ihrer Eitelkeit frönen und sich bedeutend und ausgezeichnet fühlen (Carl Schmitt noch 1951, als der Krieg längst vorbei war), sie genossen den persönlichen Schutz von Goebbels, was Gründgens tatsächlich zu Gute kam.
Dieser reaktivierte Preußische Staatsrat hatte nur Alibicharakter, denn Hitler führte anderes im Schilde. Sein Ziel war nicht die Erhaltung der Länder, sondern deren Liqidation. Und das Feigenblatt Staatsrat ist dem Führerprinzip verpflichtet.
Die Nazis zu zähmen durch eine solche Veranstaltung, war schlicht unmöglich.
Und so stellt Lethen trocken fest: „Die Berichte über die Eröffnungsfeier belegen, dass rationale Konzepte des Staats, deren Umsetzung sich Presseorgane wie die „Vossische Zeitung“ (…) und wahrscheinlich auch Finanzminister Popitz und Carl Schmitt erhofften, schon am 16. September 1933 im Trichter magischer Rituale mit ‚Blutfahnen‘ versanken.
Das ist die Folie, der Rahmen für die Geistergespräche der Staatsräte stattfinden.
Es sind Filterblasengespräche. Da ist der Chirurg Sauerbruch, für den die Lehrjahres Kriegs „ein unverzichtbarer Gewinn an Erkenntnis für die Konstruktion von Prothesen“ sind. Da ist der Jurist Carl Schmitt, der bis heute Theoretiker der Rechten ist, und der auf die Bedeutung der politischen Unterscheidung von Freund und Feind verweist, die „menschlichen Handlungen und Motiven ihre Sinn“ geben (Schmitt) und auf die „alle politischen Handlungen und Motive“ zurückführten. Liberale sind für ihn naiv, da sie sich „eine Welt ohne Feinde vorgaukelten“. Elektrisiert liest man Schmitt Theorien und ihre Wiederkehr im 21. Jahrhundert.
Da ist Gustav Gründgens, der nicht nur ein diabolischer Mime sein kann, der den Hamlet als höhnischen Höllenfürsten gespielt hat, sondern auch „ein geschliffener Bürokrat“, der als Intendant in budgetären Fragen gegenüber seinem Vorgesetzten rechenschaftspflichtig ist. Er ist ein Nachzügler im Quartett der Staatsräte, da ihn Göring nach einem heftigen Verriss durch den Völkischen Beobachter unter seine Fittiche genommen hat. Im ersten der Geistergespräch doziert er über den Schein und die Künstlichkeit. Sie sei der „kürzest Umweg zum Herzen der Menschen“. Er sieht sie als Teil der Natur des Menschen. „Seinen Schauspielern sage er immer: Machen Sie in ihrem Privatleben, was Sie wollen, aber bringen Sie mir den Alltag nicht auf die Bühne. Der Mensch ist dem Menschen verborgen. Und das ist gut so. Er zeige es auf de Bühne.“
Die Herren wenden ein, disputieren, lästern.
Im alles entscheidenden Punkt aber bleiben sie inkonsequent: Die sonst so Elitären und Einzigartigen bleiben Mitläufer, die in brutales System stützen, obwohl sie doch alles wissen und sehen müssten.
Sie retten sich in die neue Zeit.
„Gründgens wird 1954 mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet. Im Jahr darauf übernimmt er die Leitung des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Als er dort 1962 ein letztes Mal ‚Hamlet‘ inszeniert, ersetzt er da Wort ‚Gewissen‘ in der Schlegelschen Übersetzung durch das Wort ‚Bewusstsein‘: ‚So macht das Bewusstsein Feige aus uns allen.'“ (Lethen 2018, 262)
Lethen musste Geistergespräche erfinden, um die vier „Helden“ zusammenzubringen. „Persönlich herrschsüchtig und selbstverliebt waren die vier“, erläutert Lethen: „In ihren Echokammern konnten sie alles um sich herum ausblenden.“ War es Gleichgültigkeit? Führt Gleichgültigkeit gegenüber Politil zu Verstrickung?
oder wollten sie das doch immer? Da gab es ja sehr wohl ideologische Grundmuster, die zum rechten Denken gehören: „Bei ihnen war der Staat als Idee sehr wirkmächtig, Ordnung eine zentrale Kategorie.“
Es fröstelt einen, wenn man dies in Zeiten von AfD liest.
Helmut Lethen: Die Staatsräte – Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018
Gebunden, 352 Seiten, 24,00 EUR
Dr. Armin König