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Plädoyer wider die Verteufelung des Wachstums

In Wachstum, Wirtschaft, Wirtschaftswissenschaft on Januar 15, 2011 at 11:46 pm

Karl-Heinz Paqué (2010): Wachstum! Die Zukunft des globalen Kapitalismus. München: Hanser. ISBN: 978-3446423503. 19,90 €.

Ein kluger Liberaler schreibt wider die Verteufelung des Wachstums. Es ist der Ökonom Karl-Heinz Paqué. Er stammt aus dem Saarland, ist in Magdeburg Professor für Volkswirtschaftslehre und war Finanzminister in Sachsen-Anhalt. Paqué ist Mitglied des Konvents für Deutschland, und damit ist auch seine politisch-wirtschaftliche Richtung angegeben. Der Herbert-Giersch-Schüler ist ein überzeugter Liberaler.

In Zeiten, in denen Wachstum ins Fadenkreuz der Kritik geraten ist, sagt Paqué, das klassische Wachstums habe keineswegs ausgedient. Er will dies auch nicht im Zusammenhang mit dem in Deutschland zunehmend wichtigeren demographischen Wandel anerkennen. Paqué schreibt: „Es ist gerade nicht eine Politik des Verzichts auf Wachstum, die hilft, die Herausforderungen der Alterung der Gesellschaft zu meistern. Es ist vielmehr das Gegenteil: Die Mobilisierung der kreativen und produktiven Kräfte, um das Rentensystem fair und finanzierbar zu machen.“ (173)

Paqués Credo: „Wachstum verändert die Welt“. Und deshalb will der Professor für Volkswirtschaftslehre auch künftig auf Wachstum nicht verzichten. Deutschland und Europa brauchten Wachstum. Auch in der globalen Wirtschafts-, Finanz- und Entwicklungspolitik sei Wachstum nach wie vor ein Motor des Fortschritts – trotz der Suffizienzdiskussionen beim Klimaschutz. Dass es um ganz große Fragen der Menschheit geht, ist auch für Paqué unbestritten. Er kommt aber zu anderen Schlüssen als die Wachstumskritiker. Das ist legitim. Was wäre das für eine Wissenschaft, die nur einer Meinung huldigt?!

Paqué leistet sich in Zeiten der Systemkritik eine eigene Meinung. Unaufgeregt serviert er schlüssige und stichhaltige Argumente. Das gefällt mir. Ich akzeptiere sein Ziel, Wachstum zu rehabilitieren. Damit ist er in guter Gesellschaft mit Roman Herzog.

Was mir allerdings nicht gefällt, ist die Behauptung, klassisches Wachstum sei in Deutschland und Europa der einzige Weg, um Lebensqualität und soziale Sicherheit auf Dauer zu gewährleisten. Das ist objektiv falsch. Auch Paqués Argumentation zum Klimawandel steht auf tönernen Füßen. Seine Analysen internationaler Politik, sein Beurteilung der Schwellenländer ist aber absolut schlüssig.

Womöglich brauchen wir ein anderes Wachstum, wie es Lord Nicholas Stern empfiehlt. Das alte, Ressourcen gnadenlos verfeuernde Wachstum ist tatsächlich an seine Grenzen gestoßen. Ich meine, es hat auch keine Zukunft.

Paqué hat Recht: Am Ende ist es eine Bewertungsfrage von erheblicher Dimension, wie wir den Wert des Wachstums einschätzen. Das aber ist eine hoch politische Frage, vielleicht sogar eine ideologische. Kreativ und produktiv kann man auch ohne Wachstum sein, gerade in Schrumpfungszeiten oder Schrumpfungsregionen. Darüber möchte ich mit Herrn Paqué gern diskutieren. Es könnte eine spannende Debatte werden.

Armin König