Nein, der Westen ist nicht tot – sagt Thomas Kleine-Brockhoff und schwimmt damit gegen den Strom der Skeptiker und West-Kultur-Pessimisten. Er hat eine Botschaft: „Die Welt braucht den Westen“, schreibt der erfahrene Außenpolitik-Analytiker, der Vizepräsident und Berliner Büroleiter des German Marshall Fund of the United States. Souverän beschreibt er, warum nicht die „dunklen Kräfte“ die besten Chancen haben, sich durchzusetzen, sondern die Protagonisten eines neuen robusten demokratischen Liberalismus.
Ja, auch Kleine-Brockhoff, der lange als ZEIT-Korrespondent gearbeitet hat und der Chef des Planungsstabs von Bundespräsident JoachimGauck war, erkennt die wachsende Macht der Nationalisten und die aktuelle Krise des Westens. Er verkennt nicht „die Popularität des starken Mannes als Staatenlenker“ (41). Und auf der großen Weltbühne haben sich auch noch „der Protektionismus, der Majoritarismus und der Opferkult des Rechtspopulismus, das Denken in Einflusszonen, der historische und territoriale Revisionismus“ (41) breitgemacht.
Personalisiert wird die Krise des Westens durch Donald Trump und einen irrationalen Trumpismus. Aber Kleine-Brockhoff hält dagegen: „Denn es ist unabsehbar, sogar unwahrscheinlich, dass Donald Trumps Amtszeit in einen dauerhaften Trumpismus münden wird“ (16). Der Westen kann nicht so bleiben, wie er ist, auch das ist eine wichtige Erkenntnis des klugen Analytikers. Er hat auch alles dafür getan, um wegen seiner Hybris diskreditiert zu werden. Aber das ist kein Grund, nun all das aufzugeben, was den Westen seit der Aufklärung bis hin zum Liberalismus und der Demokratisierung der Welt stark gemacht hat. „Die Vereinigten Staaten als westliche Vormacht quasi aufzugeben…, wäre fahrlässig“, schreibt Kleine Brockhoff. Die Europäer sollten die Brücken nach Amerika nicht einreißen. In der Post-Trump-Ära würden sie noch gebraucht. Und es gibt ja noch immer genügend überzeugte Atlantiker, die dafür einstehen, was KLeine-Brockhoff empfihelt.
In zehn Kapiteln entwirft er einen „Neustart für eine liberale Ordnung“, und es klingt überzeugend. Nicht der missionarisch-offensive und zum Teil überdehnte westliche Demokratie-Export der letzten Jahrzehnte ist gefragt, sondern ein zurückhaltender, aber glaubwürdiger robuster Liberalismus, der für Aufklärung, Regeln, eine freiheitliche Weltordnung steht. Kleine-Brockhoff kritisiert in diesem Zusammenhang auch die offene Migrationspolitik von Angela Merkel, deren Idealismus mit den machtpolitischen Realitäten nicht in Einklang zu bringen war. „Das Globale mit dem Nationalen versöhnen“ (110), Flüchtlingsschutz, von neuem Allianzen schmieden, um dem Neonationalismus Grenzen zu setzen, Regeln für militärische Interventionen, wenn sie aus humanitären Gründen wirklich unvermeidbar sind – all dies sind große Aufgaben für den Westen. Und sie sind auch eine Chance für eine Renaissance des Westens, der auf solidem liberalem demokratischem Fundament steht. Es gilt, die Attacken neuer Kulturreleativisten abzuwehren. Dabei muss der Westen Abschied von Illusionen nehmen und „den Realitäten einer Welt ins Auge schauen, die geprägt ist von Machtkonkurrenzen“. (26)
Das ist mutig, aber keineswegs weltfremd. Die Freunde der Freiheit und die Kräfte der Mitte sollten nicht in Selbstmitleid baden, sondern sich auf den Weg machen, um die liberale Demokratie gegen all die Egomanen, Nationalisten und Populisten zu verteidigen. Denn deren Scheuklappenpolitik ist zu begrenzt, um in einer komplexen Welt überzeugende Antworten für die Mernschen zu bieten.
Klar sind auch Kleine-Brockhoffs Antworten zu China: Man werde die aufstrebende Weltmacht China nicht „eindämmen“ können (166). Nichts zu tun und auf robuste Antworten zu verzichten, sei aber auch nicht der richtige Weg. „Am Ende sorgt nicht China im Westen für Wohlstand, sondern ein regelbasiertes System freien Handels, das alle Mitglieder für verbindlich halten.“ (166)
Die Positivliste des Westens ist beeindruckend: unveräusserliche Menschenrechte, Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung und repräsentative Demokratie gehören zum Markenkern.
Thomas Kleine-Brockhoff schafft das Kunststück, dem vorherrschenden Kulturpessimismus des Westens die Vision eines aufstrebenden robusten demokratischen Liberalismus entgegenzusetzen, der tatsächlich Chancen hat. Einfach wird das nicht. Im Gegenteil: Das ist ein mühsamer Prozess, der strategisches Geschick verlangt. Aber er lohnt sich. Ein bisschen Mut ist dabei schon notwendig.
Es stimmt doch: Die Welt braucht den Westen. Es wäre fahrlässig, ihn und seine liberalen Ideale aufzugeben.
Ob der Optimismus tatsächlich trägt, ist noch nicht ausgemacht. Dafür müssen die handelnden Politikerinnen und Politiker Europas selbst sorgen.
Dr. Armin König
Thomas Kleine-Brockhoff: Die Welt braucht den Westen. Neustart für eine liberale Ordnung. Edition Körber, Hamburg 2019. 208 S., EUR 18,00; Fr. 28.90