Fritz W. Scharpf: Community and Autonomy – Institutions, Policies and Legitimacy in Multilevel Europe. Frankfurt a.M. / New York: Campus-Verlag.
Er ist der Experte für Multi-Level-Governance in Europa: Fritz W. Scharpf. Der Direktor emeritus des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (MPIfG) hat auf dem Feld der Mehrebenen-Politik und der Politikverflechtung in Deutschland und Europa Maßstäbe gesetzt. Sein Aufsatz über die „Politikverflechtungsfalle“ aus dem Jahr 1988 ist vielfach zitiert worden. „The Joint-decision Trap: Lessons from German Federalism and European Integration“ steht am Anfang einer Aufsatzsammlung, die erstmals die wichtigsten Beiträge des vielfach ausgezeichneten Politikwissenschaftlers aus 25 Jahren zu Institutionen, Policies und Legitimität im europäischen Mehrebenensystem in einem Band versammelt. Der Beitrag über die Politikverflechtungsfalle ist noch immer aktuell. Geschrieben wurde er bereits 1983/84, publiziert 1988. Obwohl sich die Welt seit dieser Zeit fundamental verändert hat, ist ein Problem geblieben: Die Komplexität politischer Entscheidungen in einem föderalen System mit unterschiedlichen Abhängigkeiten, in dem Vetospieler Problemlösungen blockieren oder zumindest erschweren können. Scharpf beschreibt eine Joint-Decision-Trap (JDT), also eine Politikverflechtungsfalle, in der es Blockaden und suboptimale Policy-Outcomes gibt, die Effektivität nationaler und europäischer Politik behindern. Scharpf kommt aber auch zu dem Schluss, dass sich dies nicht generalisieren lässt. Er stellt fest, „that these conditions do not exist everywhere, and that even where they exist, they will not always generate policy blockades or compromises on the lowest common denominator“. Die Praxis der europäischen Politik bestätigt, dass es in Teilbereichen gut läuft, während in anderen Policy-Feldern meist Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden werden.
Der zweite Aufsatz (1994) war titelgebend: „Community and Autonomy“. Er ist ein wichtiger Beitrag im Werk von Scharpf. Es geht dabei um die Balance zwischen europäischen und nationalen Kompetenzen. Darin beschreibt er die Schwierigkeiten, in einem Multi-Level-Governance-System effektiv Politik zu machen. Das gilt auch für die durchaus mächtige EU-Kommission: „In spite of the Commission’s monopoly on policy initiatives and the return to qualified majority voting in the Council of Ministers, the important decisions of the Community continue to come out of multilateral negotiations between national governments. They are cumbersome and time-consuming, and they are easily blocked by conflicts of interest between member states. These conditions are hard to change“. Das ist bis heute so geblieben. Auf europäischem Parkett ist der Fortschritt eine Schnecke. Scharpf erklärt, warum sich angesichts unterschiedlicher Marktregulierungen Europa und die USA unterscheiden. Auch das europäische Sozialmodell spielt eine Rolle. Allerdings kommt Scharpf in seinem jüngsten Beitrag (2009) zu einem Ergebnis, der den Verfechtern einer Sozialen Marktwirtschaft nicht gefallen wird. Der Artikel steht unter dem Titel: „The Double Asymmetry of European Integration – Or: Why the EU Cannot Be a Social Market Economy“. In Zeiten der Globalisierung ist dies Realität geworden.
In insgesamt 13 Aufsätzen beschreibt Scharpf die institutionellen Probleme und Chancen der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf Autonomie, Legitimität, Markt und Wirtschaft, institutionelle Bedingungen und die Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsetzung und der Politikgestaltung. Europäische Handlungsfähigkeit ist möglich trotz nationaler Autonomie – allerdings ist dies von Feld zu Feld unterschiedlich ausgeprägt.
Für Politikwissenschaftler, die sich mit Multi-Level-Governance und der Politikverflechtung zwischen nationaler und europäischer Ebene befassen, ist diese Aufsatzsammlung von Fritz W. Scharpf ein neues Standardwerk.